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Archiv-Artikel

KonDomfestspiele

Bei den Verdener Festspielen regnet es – kontinuierlich – auf die historische Posse „Liebesleid und Mauerstreit“

Wer braucht Verona, wenn er Verden hat? Balkone gibt es auch in der norddeutschen Tiefebene, und auch dort kann die Liebe zwischen einem Roderick und einer Johanna als „glühende Lava“ besungen werden.

Shakespeare lieferte das Drama, um das herum Gabriel Reinking seine historische Posse „Liebesleid und Mauerstreit“ basteln konnte, wobei er ganz nebenbei auch noch einen Gründungsmythos der Stadt Verden mitlieferte. Diese wurde im 15. Jahrhundert aus den bis dahin verfeindeten Orten Norder- und Süderstadt gegründet, die durch eine Mauer voneinander getrennt waren und nach gewalttätigen Ausschreitungen bei einer Domweih von den schwedischen Besatzern zwangsvereinigt wurden. Im Stück ist die Liebe zwischen der norderstädtischen Bürgermeisterstochter Johanna und dem süderstädtischen Domschüler Roderick der Auslöser dieser Zwistigkeiten, die tragisch unter dem Beil des grimmigen Scharfrichters zu enden drohen, und nur die weise Königin Christine kann verhindern, dass „Richtblocksblut statt Hymnenblut“ fließt.

Dieser deftige Bühnen-Eintopf wurde vor zwei Jahren zum ersten Mal aufgeführt, und anhand der vergnüglichen Massenszenen, bei denen sich 120 LaiendarstellerInnen vor dem Publikum eine zünftige Keilerei lieferten, schrieb der Rezensent damals, dass „die Spielenden mindestens so viel Spaß an dem Spektakel haben wie die Zuschauer.“ Und da alle Veranstaltungen ausverkauft waren, sprach nichts dagegen, das Stück mit ein paar Veränderungen bei den diesjährigen Domfestspielen wieder aufzuführen.

Es hat dabei nichts von seinem robusten Charme eingebüßt: Wieder gibt es die lautesten Lacher, wenn die Wäscherinnen Zoten über die körperlichen Vorzüge der schwedischen Soldaten reißen, wieder gibt die Kreisoberinspektorin Birgit Scheibe in der Rolle der schwedischen Königin Christine eine fulminante Greta Garbo-Parodie zum Besten, und wieder sind die Bühnendialoge mit aktuellen politischen Anspielungen gespickt.

Doch diesmal ist das Wetter mies. Bei der Premiere am Freitagabend regnete es auf dem Platz vor dem Verdener Dom drei Stunden lang en suite. Das Publikum saß zwar im Trockenen, doch alle Mitwirkenden agierten im Regen. Alle Vorstellungen des ersten Wochenendes waren verregnet, aber vielleicht war dies auch ein verborgener Segen, denn eine sonnige Wiederaufführung wäre zwar schön, aber eben nur eine Wiederholung gewesen. Aber nass ist das ganze Stück anders, alle Mitwirkenden mussten sich besonders anstrengen, und das Publikum wurde bald zu einer verschworenen Gemeinde, die mitbangte und hoffte, dass die Aufführung nicht ins Wasser fiel. Und tatsächlich klappte zumindest am Samstag abend alles erstaunlich gut: Ein paar Mikros fielen aus, aber die Massenszenen gerieten trotz des nassen Bodens nicht zu Schlammschlachten, und die schönen Kostüme konnte man auch durch die Plastikhüllen, in die alle Darsteller verpackt waren, noch gut sehen. Diese durchsichtigen Pelerinen gaben dem historischen Schauspiel ein leicht surrealistisches Flair; ihretwegen werden die diesjährigen Festivitäten als die Kondomfestspiele in die Geschichte Verdens eingehen. Wilfried Hippen

Bis zum 21. August jeweils Mi, Fr, Sa u. So um 20 Uhr