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Komsomolskaja Prawda

DIE ANDEREN

Zur künftigen Außenpolitik Rußlands

Das Schlimme ist, daß unsere bisherige Verteidigungspolitik vorwiegend von einer hypothetischen Bedrohung aus dem Westen ausging, die nur unter sehr speziellen Bedingungen hätte realisiert werden können. Die Bedrohung aus dem Osten und dem Süden hingegen ist nicht hypothetisch, sondern äußerst real. Die Ereignisse am Persischen Golf haben gezeigt, daß die Eskalation fast augenblicklich geschehen kann. Um ihr zu widerstehen, braucht man eine Armee, die in jeder Region eingesetzt werden kann.

Rußland kann von de Gaulle lernen

Wenn man an die russische außenpolitische Strategie für das kommende Jahrzehnt denkt, dann wäre es nicht schlecht, sich den Erfolgen Frankreichs in den 60er Jahren zuzuwenden, das heißt dem Gaullismus. Im einzelnen hat de Gaulle den ewigen Vorzug einer schwächer werdenden Macht genutzt - die Möglichkeit, zwischen den mächtigeren Machtzentren zu balancieren. Es geht natürlich nicht um ein zynisches Spiel mit den Widersprüchen. Die Rede ist von unserer Beteiligung am neuen politischen Spiel, dessen Hauptakteure die USA und Deutschland sowie das vereinigte Europa und die asiatisch -pazifische Gemeinschaft sein werden. Rußland wird nicht sehr schnell im Spiel mit diesen Giganten ein gleicher sein, aber gerade seine zeitweilige Schwäche erhöht die Freiheit des diplomatischen Manövrierens.

Rußland und die Marktwirtschaft:

Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß die Positionen der Konservativen ...in den letzten Monaten eine ernste Niederlage erlitten haben. Die Erfahrung hat bis zum Überdruß gezeigt, daß die ersten Keime einer freien Wirtschaft mit eigener Dynamik durch den enormen Apparat der bürokratischen Ministerien und Ämter bedroht sind. Die Idee, ein allmählicher Übergang würde größere Übel für die Bevölkerung vermeiden, hat sich als irrig herausgestellt... Darum setzt sich jetzt die Vision eines Fortschreitens zum Markt ohne Schwanken durch. Es wäre falsch, in der von Rußland ergriffenen Initiative einen Bruch zwischen Jelzin und Gorbatschow zu sehen. Zwischen ihnen hat es in den letzten Monaten eine Annäherung gegeben... Doch alles deutet darauf hin, daß in der Konzertation die radikalen Thesen gewinnen werden, was die Demission von Regierungschef Ryschkow, der eine langsame Evolution verficht, verursachen würde.

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Eigentlich hat Gorbatschow keinen Grund, Ryschkow zu stützen. Der hatte als erster dagegen Stellung bezogen, daß Gorbatschow die höchsten Ämter in Staat und Partei gleichzeitig bekleidet. Hinzu kommt, daß Ryschkow, als er endlich Willen zur Erneuerung zeigte, die Neuordnung der Preise vermasselte und damit den Obersten Sowjet gegen sich aufbrachte. Daß Gorbatschow trotz allem an ihm festhält, ist wohl nur mit der Angst vor Gesichtsverlust zu erklären. Die Frage stellt sich aber, ob Gorbatschow nicht das Risiko eingeht, mehr durch das Festhalten an Ryschkow zu verlieren als durch dessen Abgang.

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