Kompetenzen etc.: Düsseldorf hat einen Hänger
■ Wollheim-Retrospektive: Das Landesarbeitsgericht verfügte die Umhängung der Version von Peters
Was das Düsseldorfer Kunstmuseum am Montag erleben wird, hat es bislang in der Geschichte der Bundesrepublik noch in keinem öffentlichen Kunsthaus gegeben. Nach einer einstweiligen Verfügung, die das Landesarbeitsgericht Düsseldorf am Mittwoch dieser Woche ausgesprochen hat, muß die dort seit Ende Januar zu sehende Retrospektive mit rund 250 Werken von Gerd Wollheim komplett umgehängt werden.
Die Klage stammte von Ausstellungskurator Stephan von Wiese: Sein biographisch-politisches Hängekonzept hatte Museumsdirektor Hans-Albert Peters für ästhetisch irrig befunden. Als Chef hatte er statt dessen am Tag vor der Presse-Präsentation seine eigenen, entschärften Raumideen durchgesetzt, hatte das unpolitische, surrealistische Spätwerk an den exponierten Ausstellungsbeginn gestellt und bekam dafür in erster Instanz vor Gericht unter Berufung auf das Direktorialprinzip recht (siehe taz vom 26.1.93).
Dieser hierarchischen Argumentation mochte die kunstsinnige Richterin Hansi Stoltenberg in dieser Woche in der Berufungsverhandlung nicht folgen. „Die Hängung der Ausstellung inhaltlich von deren vorheriger Vorbereitung zu trennen, halte ich schlechterdings nicht für möglich“, befand die Juristin nach eingehender Befassung mit der Materie. Dem diktatorischen Direktor hielt sie vor: „Sie haben in einer eidesstattlichen Versicherung bekundet, daß sie ,ohne Not‘ nicht eingegriffen hätten. Wo ist die Not? Ich sehe nicht den Grund dafür, daß dem Kurator die Hängung der von ihm zweieinhalb Jahre lang vorbereiteten Ausstellung aus der Hand genommen wurde. Als Steuerzahlerin frage ich mich auch, wofür der Mann dann in diesen zweieinhalb Jahren bezahlt worden ist, wenn er offensichtlich seine Aufgabe doch nicht zu Ende führen darf. Schließlich ist Ihre Chefposition kein Garant für Sachkompetenz.“
Gerade mit dem Nachweis seiner Kompetenz („Ich habe jahrelang die Kunsthalle Baden-Baden geleitet“) stellte sich Peters in Sachen Wollheim ohne Geschick dar: „Ich habe schließlich die Druckfahnen des Katalogs sogar im Urlaub gelesen und besaß dieselbe Sachkenntnis wie Stephan von Wiese“, erzählte er dem Gericht stolz.
„Peters konnte neun Zehntel der in Düsseldorf hängenden Werke gar nicht kennen, bevor sie im Kunstmuseum ausgepackt wurden“, setzte dem der renommierte Ausstellungsmacher und Beuys-Freund von Wiese entgegen. „Die meisten Werke dieses vergessenen Künstlers habe ich nämlich erst mühevoll wiederentdecken müssen. Deshalb war mir wichtig, in meinem Ausstellungskonzept nicht allein das Werk eines Künstlers, sondern auch die leidvolle Biographie des Menschen Wollheim zu zeigen.“ Vor allem dessen Kriegsbilder seien aber „dem Publikum nicht zuzumuten“, hatte hingegen Peters gegenüber dem amerikanischen Leihgeber Robert Gore Rifkind argumentiert.
Das Landesarbeitsgericht gab von Wiese recht. In ihrer Urteilsbegründung verwies Richterin Hansi Stoltenberg auf den Artikel5 des Grundgesetzes und erläuterte: „Wir haben denjenigen gesucht, der die höchste Garantie für eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsthema gewährleistet. Es ist nicht erkennbar, warum das nicht Stephan von Wiese sein sollte.“ Ob ein Ausstellungskonzept als geistiges Eigentum und Rechtsgut auch dem Urheberrecht entspricht, mochte die Richterin in dieser Angelegenheit nicht klären.
Am Morgen will Stephan von Wiese die Wollheim-Ausstellung nach seinen Anweisungen neu hängen lassen. Die Retrospektive wurde, bevor sie nach Berlin weiterwandert, unterdessen bis zum 2.Mai verlängert. Sie ist damit die erste Ausstellung, die in ein und demselben deutschen Museum in zwei verschiedenen aufeinanderfolgenden Fassungen zu sehen sein wird. Stefan Koldehoff
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