Komödie "Jungs bleiben Jungs": Üppig Busch im Höschen
Der 32-jährige Autor und Regisseur Riad Sattouf verarbeitet in der Filmkomödie "Jungs bleiben Jungs" seine eigene Pubertät, die nun ja schon eine Weile zurückliegt.
Der Teenager, das unbekannte Wesen. Es scheint, als sei der junge Mensch in dieser Latenzphase, die spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts von Soziologie und Marketing für die Zeit zwischen Kindheit und Erwerbstätigkeit definiert wurde, ständig auf der Flucht vor dem Verständnis der Älteren. Waren es früher Swing, Rock'n'Roll oder vermeintlich lotterhafter Kleidungsstil, auf die in Elternhäusern mit Unverständnis, gar Angst reagiert wurde, machen jetzt die Nutzung sozialer Netzwerke im Internet, die angeblich Schulmassaker verursachenden Produkte der Game-Industrie oder das Alkopop-Komasaufen den Teenager erneut zum Rätsel. Nicht unbedingt erleichtert wird die Sache dadurch, dass im Schatten der jüngsten Schul- und Kirchenmissbrauchsskandale auch das Interesse derjenigen, die die Gedankenwelt und das Intimleben heutiger Jugendlicher nur begreifen wollen, rasch im Ruch steht, potenziell abartig zu sein.
Da scheint es erfreulich, wenn sich ein französischer Film nun in das Vakuum der Teenagerliebe stürzt und eine Geschichte um 14-jährige Schüler erzählt, die weder Züge von Paternalismus noch von bekannten "American Pie"-Plattheiten trägt. "Les Beaux Gosses", auf Deutsch leider dämlich "Jungs bleiben Jungs" betitelt, wurde in Frankreich gleich mit einem César als Bester Debütfilm ausgezeichnet und hatte in den dortigen Kinos eine Million Zuschauer. Doch Vorsicht: Obwohl der Film an einem Großstadt-Lycée der heutigen Zeit spielt, darf man Erkenntnisse über die digital vernetze "Generation Porno" hier nicht erwarten. Der 32-jährige Autor und Regisseur Riad Sattouf verarbeitet in dem Film eher seine eigene Pubertät, die nun ja schon eine Weile zurückliegt. Keine Spur daher von martialischem Egoshooter-Posing oder gemeinsamen YouPorn-Nachmittagen. Nein, in "Les Beaux Gosses" werden Spickzettel noch klassisch unterm Tisch weitergereicht (statt sie ins Handy zu tippen), und wenn Protagonist Hervé (Vincent Lacoste) und sein Heavy-Metal hörender bester Freund Camel (Anthony Sonigo) nackte Frauen sehen wollen, tauschen sie Versandhauskataloge aus, in denen die Spitzendessousmodels noch üppig Busch durchs Höschen blitzen lassen. Keine Frage: In "Jungs bleiben Jungs" soll mit einigen Jahren Sicherheitsabstand ein heute erwachsenes Publikum noch einmal über seine eigenen Hormonschübe und verunglückten Ersten Male lachen.
Dies gelingt der Komödie und ihren Akteuren allerdings sehr gut. Schon weil wunderbar absurde Details fokussiert werden - wie etwa das leidenschaftliche Pickelabschlecken in Großaufnahme, das den Zuschauer bei der morgendlichen Zungenkussübung eines Paars auf dem Pausenhof erschreckt. Die Eltern- und Lehrerfiguren sind köstlich überzeichnet, ohne plump zu werden. Vor allem aber bietet der Film neben Hervé und Camel eine starke Mädchenfigur, die natürlich zu Hervés Objekt der Begierde wird: Aurore (Alice Tremolieres) scheint über die ästhetischen und psychischen Wirrungen der Pubertät vollständig erhaben. Warum sie plötzlich auf Hervé, diesen stillen Schlacks mit dem müffelnden Schlabberpulli, steht, bleibt nicht nur Hervé selbst, sondern auch dem Zuschauer ein Rätsel. Auf dem Schulhof mit Hervé gesehen zu werden, ist Aurore auch hochpeinlich. Trotzdem scheint sie nichts dringlicher zu wünschen, als mit ihm ins Bett zu gehen. Hervé ist verstört: Will Aurore möglicherweise nur ein bisschen mit ihm üben?
Fast könnte man meinen, der Junge sei hier an den Prototyp des "Jungen-Mädchens" geraten, wie es zuletzt vom französischen Autorenkollektiv Tiqqun in einem Merve-Band typisiert wurde - also ein die Warengesellschaft vollkommen verinnerlicht habendes (weibliches) Wesen, das trotz sogenannter Jugendlichkeit sein Liebesleben schon vollständig nach den Prinzipien der Marktwertsteigerung strategisch ausgerichtet und durchökonomisiert hat. Mit heimlich an einem arglosen Objekt wie Hervé akkumuliertem Sex-Know-how wäre für dieses Mädchen beizeiten ein erheblich prestigeträchtigerer Typ zu angeln. Doch Entwarnung: Dafür ist der Neue, mit dem Aurore auf dem Schulhof später demonstrativ herumzüngelt, doch nicht Preishengst genug.
Zumindest in Riad Sattoufs so merkwürdig wie amüsant aus der eigenen Adoleszenz ins Heute transferierten Welt der "Beaux Gosses" ist am Ende alles wieder in Butter. Und doch hätte man gerne auch noch den Film gesehen, den die ausnahmslos großartigen Akteure über ihr eigenes Leben gedreht hätten.
"Jungs bleiben Jungs". R.: Riad Sattouf. Mit Vincent Lacoste, Anthony Sonigo u. a. F 2009, 88 Min.
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