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Kommunismus-KongressPhilosophendämmerung

Antonio Negri, Slavoj Zizek und Alain Badiou trafen sich in der Berliner Volksbühne. Drei Tage lang stritten die Philosophen über Klassenkampf, Kapital und die "Idee des Kommunismus".

Erhellende Gedanken: In der Berliner Volksbühne trafen sich Philosophie-Größen, um über die "Idee des Kommunismus" zu diskutieren. Bild: dpa

"Ich will es mit den Worten der schlesischen Kulturrevolution sagen: Wir müssen das Hauptquartier dieser Philosophenkönige bombardieren, wenn der Kommunismus nicht erneut eine Herrschaftsideologie werden soll." Lachen, Applaus, zustimmende Rufe und Pfiffe für diesen Diskussionsbeitrag aus dem Publikum markierten das Ende einer dreitägigen Konferenz, die dieses Wochenende unter dem Titel "Idee des Kommunismus" in der Berliner Volksbühne stattfand.

Die beiden prominenten Initiatoren der Konferenz: Slavoj Zizek (61), der am Birbeck College London lehrende, in Slowenien geborene Philosoph und Kulturkritiker, sowie Alain Badiou (73), Direktor des Philosophie-Instituts der Pariser École normale supérieure und lange Zeit führende Figur des französischen Maoismus. Noch bevor die Konferenz überhaupt begonnen hatte, hagelte es Kritik ("frivoler Umgang mit der Geschichte", SZ), wovon sich aber das zumeist jüngere Publikum nicht abschrecken ließ. Die Konferenz war ausverkauft.

Im März 2009 hatten Badiou und Zizek in London bereits eine Konferenz mit dem Titel "The Idea of Communism" organisiert. Mit Spannung wurde das Aufeinandertreffen der "Philosophenkönige" Negri und Badiou erwartet, deren Auffassungen sich doch sehr stark unterscheiden.

Negri (77), Politikwissenschaftler und Kopf der historischen Strömung der Autonomie in Italien, hat nach Exil und Gefängnis in den 2000er Jahren eine ganze Reihe von prominenten Schriften veröffentlicht ("Empire", "Multitude" und zuletzt "Commonwealth") und wurde zum Star der globalisierungskritischen Bewegung.

Er hatte die Einladung nach Berlin erst sehr kurzfristig angenommen. In seinem Vortrag am Freitag kritisierte Negri Badious theoretische Negierung eines Klassenkampfs innerhalb der kapitalistischen Ordnung (die Badiou immer schon vom Kapitalismus vereinnahmt sehe) als "jakobinischen Purismus". Außerdem wies Negri Badious Verständnis der heutigen Arbeitsverhältnisse, seinen Entwurf des revolutionären Subjekts und die daraus folgende Definition des Kommunismus als antiquiert zurück.

Der industrielle Kapitalismus habe sich seit Ende der 1970er Jahre in einen Finanzkapitalismus verwandelt und nicht nur neue Formen der Arbeit, sondern auch neue Formen der Ausbeutung entwickelt: Globalisierung, Herrschaft des Geldes über die Arbeit, Biomacht, Kontrolle der Sprachen und der Kommunikation, so Negri. Anstelle vom Ziel des Kommunismus wolle er lieber von den Möglichkeiten des Klassenkampfs sprechen. Bei Badiou fehle ihm das immer auch vorhandene Moment des Widerstandes, des Neuen und Kreativen, sagte Negri in der Diskussion, an der sich Badiou am Freitag nicht beteiligte. Badiou wohnte den Veranstaltung wortlos bei, um sich erst am Sonntag in einem perfekt choreografierten Moment an das Publikum zu wenden.

Zunächst wies er Negris Analyse zurück. Denn: "Die letzte Wirtschaftskrise ist eine klassische Überproduktionskrise. Sie beweist, dass der sogenannte immaterielle Internet-Kapitalismus marginal ist im Vergleich zur Produktion von Autos, Häusern und Waffen." Badiou erkannte aber an, dass der Kommunismus des letzten Jahrhunderts über die Zeitspanne der Revolutionen hinaus "militärisch und kriegerisch von der Idee des Sieges" besessen gewesen sei. Allerdings "zu Recht", wenn auch dies "die kommunistische Idee" habe "verschwinden lassen".

Badiou machte sich für eine universalistische kommunistische Idee stark und bezog sich im weiteren auf Gewerkschaftspolitik, Feminismus und die Palästinenser. Besonders irritierend schien der Rekurs auf den Feminismus bei dieser sehr männlich dominierten Veranstaltung in der Volksbühne. Eine junge Frau aus dem Publikum bemerkte an die Adresse Badious gerichtet: "Mir scheint, dass es auf dieser Konferenz keinen Raum für eine Politik der Differenz gibt." Sie bemängelte, dass unter den Diskutierenden sich gerade mal eine Frau befand.

Diesen Eindruck konnte auch Zizek nicht mehr zerstreuen, der während der Konferenz vorrangig als Vermittler agierte. Er glaube nicht an das emanzipatorische Potenzial von Negris Multitude, sehe aber auch die Defizite bei Badiou. Darüber führe er jedoch eine interne Polemik mit Badiou, "eine freundschaftliche natürlich".

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13 Kommentare

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  • RK
    Rüdiger Kalupner

    "Bei Badiou fehle ihm das immer auch vorhandene Moment des Widerstandes, des Neuen und Kreativen, sagte Negri in der Diskussion, ..." Am treffsicheren Neuen, am Übermächtig-selbstläuferisch-KREATIVEN mangelt es allen.

     

    Das Moment des KREATIVEN (= Konfliktauflösungsfähigkeit-in-den-Dingen), Neuen kommt nur über eine Steuerungsssystemtheorie des Evolutionsprozesses ins DENKEN und wird nur als 'Steuerungssystem-des-KREATIVEN' übermächtig im weltindustriellen Fortschrittprozess. Wer den Exodus aus der blinden Ordnung-der-Antagonismen (= evolutionsblinde Konflikt- und Machtkämpfe) kampflos organisieren will, muß dies auf evolutionsprozess-theoretischer Grundlage machen wollen, aus dem sich der projektfähige Erkenntnisstand über die Inhalte des Steuerungssystems-des-KREATIVEN-Evolutionspfades ableiten läßt.

     

    Wer diesen Erkenntnisstand als Widerständler nicht hat, kann nur ohnmächtig dem sich abzeichnenden Systemabsturz der KAPITALVORHERRSCHAFT zusehen oder noch ohnmächtiger an tausend Widerstandsstellen herumkämpfen. Erst mit dem erkannten steuerungssystemischen Evolutionsprozess-Modell sind die Widerständler auf Augenhöhe mit den Spitzen des Ancien régime und erst mit diesem Wissen kann 'der Mensch als evolutionär-kreativer Hauptagent in die Geschichte eintreten'.

     

    Die 'Idee des Kommunismus' kann nur die 'Evolutionsprozess-Logik des KREATIVEN Akzelerationswegs' umfassen.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Ich erwähne noch einmal, das alle Autoren trotz "Differenzen" ein starke theoretische Mannigfaltigkeit bilden und extrem superb und lehrreich sind. Negri war 5 Jahre unschuldig im Gefängnis - als STAATSRECHTSPROFESSOR und Gegenstand vieler Solikampagnen!!! Zur Realabschhätzung von Repressionsapparaten und ihr Verhältnis(Doppelbedeutung) zur guten Linken.

  • J
    j.r.

    Dem Philosophenkönigtum erteilt Zizek in „First as Tragedy, then as Farce“ selbst eine Absage. Seite 152 f.

     

    Im Übrigen sollte vor dem "Bombardieren" vielleicht einfach erst mal besser zugehört werden. Die Verbindung, um die es geht, ist die des Singulären mit dem Universellen, die sich in die (ansonsten unterdrückerischen) kommunitären Beschränkungen und Eigenheiten einschreibt. Diese sind Teil der Situation und des Singulären. Im Übrigen sind sie egal.

     

    "Im Inneren“ der Verteidigung der Interessen der Unterdrückten, so sagte Badiou in seinem Vortrag, müssen diese als universalistisch konzeptualisiert werden, als gut für alle. (Aber vielen „Linken“ geht es ja ohnehin nur noch um ihren eigenen Life-Style.) Es gibt bei Badiou immer wieder das Bekenntnis zu den unbegrenzten Mannigfaltigkeiten.

     

    Im übrigen ist oft das Basalste nicht verstanden: Es geht um die Identität einer freien (völlig unbestimmten) Gleichheit (keine Uniformität) und einer gleichen Freiheit (keine Willkürfreiheit, keine Freiheit zur Unterdrückung).

  • J
    j.r.

    Auf eine Nachfrage aus dem Publikum ganz am Ende der Konferenz, warum kaum Frauen eingeladen worden wären – in der Tat war nur eine einzige Frau unter den Sprechern – antwortete Žižek, dass sehr wohl viele Frauen eingeladen wurden, aber, teils aus gesundheitlichen, teils aus inhaltlichen Gründen abgelehnt hätten. So hätte etwa Judith Butler ihre Einladung, auf dem Kongress zu sprechen, ausgeschlagen, weil sie nicht mit dem K-Wort assoziiert werden wolle.

     

    Dass die Philosophin heute andererseits auch noch Hamas und Hisbollah als ebenso linke wie progressive soziale Bewegungen verstanden wissen will, wie sie unlängst in einer Diskussion zu verstehen gab, ist bizarr und wohl kaum gänzlich zu erhellen. Selbst wiederum erhellt es vielleicht jedoch einen Satz, den ihr persönlicher Freund Slavoj Žižek in einem Vorabinterview zum Kongress äußerte: „Wenn die Linke sich nicht neu erfindet, wird die dschihadistische Bewegung unsere Zukunft sein.“ (taz, 25. Juni) Zu dieser Neuerfindung war der Kongress ein Beitrag.

  • TA
    Theorie als Praxis

    Es war nicht die "schlesische", sondern die chinesische Kulturrevolution, die die Parole "Bombardiert das Hauptquartier" ausgab.

     

    Die Begründung des harschen Urteils über die Philosophen-Könige findet sich hier:

     

    http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/06/27/bombardiert-das-hauptquartier-der-philosophen-koenige-oder/

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Der Urkommunismus hat sich aus der steinzeitlichen Urhorde entwickelt. Da ist das Leben in Millionen- und anderen Städten und das auch noch weltweit, fast ausschliesslich durch das dünne Band Geld und Finanzmärkte miteinander brutal hart verbunden, doch "etwas ganz anderes". Getreu der "Defensiv"-Analyse hat Negri mit seiner 'zuförderst Klassenkampf betrachten' Perspektive leider recht. Da ist noch nicht einmal ein Dach für ein Taube und auch kein Spatzenei, insofern sind solche Konferenzen zur Selbstverständigung dringend notwendig.

    Da alle Arten von Dysfunktionen die Masse der Menschen auszubaden haben, über die Funktionen aber die großen Finanzmarktkapitale und Staaten bestimmen,

    ist Kritik erst einmal der Hauptgesichtspunkt.

  • OK
    Oma Kruse

    Was für knackige Bürschchen! Meine Generation. Da fühlt sich Oma noch mal so richtig jung. Das ist ein Leben! Wie vor fünfzig Jahren! Jubel!

  • TA
    Theorie als Praxis

    Es war die chinesische (!) Kulturrevolution, die Parole ausgab, das "Hauptquartier" zu bombardieren:

     

    http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/06/27/bombardiert-das-hauptquartier-der-philosophen-koenige-oder/

     

    (nebst Begründung der harschen Aufforderung)

  • J
    j.r.

    Zizek hat auf den Einwand aus dem Publikum, dass augenscheinlich kaum Frauen eingeladen worden wären, geantwortet, dass sehr wohl viele Frauen eingeladen worden seien. Nur hätten diese teils aus Krankheitsgründen abgesagt (was er, so sagte er witzelnd, überprüft habe und bestätigen könne) oder weil sie, wie z.B. Judith Butler, nicht mit dem Wort "Kommunismus" assoziiert werden wollten. Butler hält es ja heute eher mit "Hamas, [and] Hezbollah as social movements that are progressive, that are on the Left".

     

    http://contested-terrain.net/jbutler-hamas-hezbollah-global-left/

     

    Dem Philosophenkönigtum erteilt Zizek übrigens in "First as Tragedy, then as Farce" eine Absage, Seite 152 f..

  • P
    pekerst

    "Negri (77), Politikwissenschaftler und Kopf der historischen Strömung der Autonomie in Italien, hat nach Exil und Gefängnis in den 2000er Jahren..." Anscheinend meint die Autorin das 20. Jahrhundert, denn Negri hat nur bis 2003 "in den 2000er-Jahren" gesessen, der Rest fand vor 2000 statt.

  • S
    saalbert

    "Exil und Gefängnis in den 2000er Jahren" - Da hat der Mann aber ziemlich lange gesessen. (Übrigens ist "2000er-Jahre" ein Wort. Es empfiehlt sich ein Blick in den Duden.

  • HK
    Hans-Jürgen Kapust

    Schade, dass die deutsche Theorie so wenig bis gar nicht mehr vertreten ist. Immerhin gibt es den verblüffenden revolutionstheoretischen Satz von Marx: "Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen." ( Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in Die Frühschriften, S.222 ff)

    Es nimmt aber auch nicht Wunder, da seit dem Erscheinen der "herrschaftfreien Kommunikation" von Habermas zu Beginn der ´80ger, die kritische Theorie der Frankfurter Schule, wie erstickt scheint; gelandet in einem "kapitalistischen Weltinnenraum" (Habermas), maximal noch die negative Utopie entwickelt, zu der zum Schluss auch Adorno tendierte.

    Dabei bildete sich schon 1973 als nicht-offizielle Weiterführung dieser Schule mit "Öffentlichkeit und Erfahrung" eine bis heute fruchtbare Zusammenarbeit von Oskar Negt und Alexander Kluge heraus, die sog. "gemeinsame Philosophie", die anscheindend dazu gezwungen ist, sich selbst Öffentlichkeit zu verschaffen. Zwar erscheinen Beiträge, Filme etc, dieser beiden - als einzelne -, werden gewürdigt, kommentiert, jedoch weder zum akademischen noch medialen Bereich hat diese gemeinsame Theoriearbeit Zugang gefunden.

    Soweit nur die Sache, Kommunismus und Philosophie unter dem Gesichtspunkt der Rezeptionsgeschichte betrachtet.

    Würde man die beiden nur fragen (lesen) zu diesem Thema! Sie haben inhaltlich gesehen nichts weniger versucht, als das von Marx sich selbst vorgenommene Programm, die Ergänzung und Kehrseite zum "Kapital" zu schreiben, eine "Kritik der politischen Ökonomie der Arbeitskraft". Im Marx´schen Sinne haben sie an einem einheitlichen Begriff von "Arbeit" festgehalten, der nicht zwischen Arbeit und Interaktion unterscheidet (Habermas), die Frage nach dem geschichtlichen Subjekt mit Marx als die "Subjektivtät gegenständlicher (menschlicher) Wesenkräfte" beantwortet, damit auch die nach dem "revolutionären Subjekt", und... kreisen bei allen ihren Bemühungen, dem Aufspüren und

    Aufzeigen "objektiver Möglichkeiten", bei der Arbeit am Begriff, "um die Dinge zu begreifen (B. Brecht), um die bis heute unwiederlegte und immer augenscheinlicher drängendere Erfahrung von Marx: "Der Mensch ist neben die Geschichte getreten, statt ihr Hauptagent zu sein."

    Drängend? Aufsehen erregt z.Z. Frank Fenner, (Biologe, 95) mit der Prognose : ""Homo sapiens wird aussterben, vielleicht innerhalb von 100 Jahren."

    http://derstandard.at/1276413619457/

  • L
    Lichtgestalt

    Ja ja, die berühmte SCHLESISCHE Kulturrevolution.

    Hmm, unterschwelliger Revanchismus - jetzt auch in der taz? ;-)