Kommunismus-Debatte: Das böse Wort mit K
Der Traum von einer anderen Gesellschaft bleibt aktuell. Der Begriff "Kommunismus" aber gehört entsorgt: Gianna Nannini ist K., Wikipedia ist K, "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer ist K.
G ianna Nannini hat mit 54 Jahren ihr erstes Kind bekommen - das ist K. Und nach ihrer Tochter Penelope, der sie ihre neue Platte gewidmet hat, will sie nun noch einen Sohn. Das ist noch mehr K. Denn Gianna Nannini hat damit den Knast der Natur hinter sich gelassen und ist in das Reich der Freiheit eingetreten.
Randy Newman dagegen singt auf seinem Album "Bad Love" im Gespräch mit Karl Marx die Verse: "Karl, the world isnt fair, it isnt and never will be." Randy Newman hat hier ausnahmsweise einmal nicht recht. Gewiss ist es unfair, dass sich Frauen in grob gerechnet zwei Dekaden ihres Lebens entscheiden sollen, ein Kind zu bekommen oder nicht. Aber sie und wir müssen das nicht mehr hinnehmen. Wir leben im großartigen Zeitalter immer größerer Freiheiten, allgemein verfügbaren Wissens und ethisch fortgeschrittenen Bewusstseins: Nannini (und Penelope) ist K., Wikipedia ist K, "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer ist K.
Lösen wir die Dinge auf: "K" steht hier für das, was manche noch Kommunismus nennen. "Kommunismus" ist aber ein veralteter und provinzieller Begriff. Er steht nicht nur im Westen Deutschlands, wie Gregor Gysi anlässlich der Lötzsch-Debatte meinte, für Unfreiheit und Verbrechen (und für manch irrationale Ängste), sondern auch in Polen. Wer mit dem Begriff "Kommunismus" denkt und politische und gesellschaftliche Ziele beschreibt, lebt in der Vergangenheit. Nicht umsonst nannten sich die Sozialdemokraten und Kommunisten einst so - und nicht Jakobiner.
Aber warum bleibt man bei einem zumindest belasteten und politisch selbstmörderischen Namen für eine menschenfreundliche Idee von Zusammenleben, die man Gesinde Lötzsch und Followern schon zubilligen darf? Die Antwort ist: Angst und Unwissenheit. Angst vor dem Neuen: vor der PID, vor der neuesten App, vor völlig neuen Konzepten für Mobilität und Energie. Und diese Angst ist verständlich. Denn aus dem Fortschritt ergeben sich durchaus auch beunruhigende Fragen. Aber es ergibt sich auch die Lust, in der Gegenwart zu leben.
Was an Gesine Lötzschs (oder Michael Bries, der ja eigentlich der Autor war) Kommunismustext wirklich unangenehm war, ist die Ableitung einer neuen Gesellschaftsordnung aus der Apokalypse: das Versiegen des Golfstroms, der Untergang von Euro oder EU, radikalfundamentalistische USA, Flüchtlingsströme, die die Festung Europa (bei Brie/Lötzsch in Anführungszeichen - so radikal soll es dann noch nicht sein) berennen.
Wer eine neue Gesellschaft so denkt, unterstellt derjenigen, in der er lebt, Minderwertigkeit. Das ist falsch und arrogant. Diese unsere westliche Gesellschaft ist immer noch vorne, die große Masse der Menschheit wünscht sich nichts anderes, als so zu leben, wie wir es können: auch wie Hartz-IV-Bezieher - was der Forderung nach Abschaffung von Hartz IV oder der Forderung nach einem allgemeinen bedingungslosen Grundeinkommen überhaupt nicht widerspricht. Gerade weil die Gesellschaftsordnung ja auch dem, der alles zum Kotzen findet, die Möglichkeit lässt, sich in die Uckermark zurückzuziehen, katholisch, islamistisch oder kommunistisch zu werden oder sich über das "Unnatürliche" an Spätestgebärenden zu mokieren.
Das alles ist okay, aber es bleibt versponnen und irrelevant. Relevant sind nur der ethisch durchdachte und demokratisch verankerte Fortschritt und die global gerechte Verteilung dieses Fortschritts, die ohne Widerstand, ohne kontinuierliche Revolte gegen die herrschenden Privatinteressen nicht zu haben sein wird. Pasolini sprach einst von Entwicklung ohne Fortschritt - das ist die Gefahr, auf die man sich konzentrieren sollte.
Ambros Waibel ist Meinungsredakteur der taz.
Stattdessen hegen viele von denen, die für den K sind, Sympathien mit dem Regime im Iran, für dessen Freund Hugo Chávez oder für die Hisbollah. Wie asoziale deutsche Unternehmer im Schlepptau Gerhard Schröders verteidigen sie die Diktatur in China - die Konzernchefs wurden wenigstens reich dabei. Dahinter steckt zumindest die Idee, der Feind meiner Feinde (der USA, Israels, des Westens, des Imperialismus) sei mein Freund. Warum eigentlich? Reicht es nicht, sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu beziehen und so seine politischen Sympathien zu verteilen? Warum glauben manche Kommunisten, Politik nach der Devise des kleineren Übels machen zu müssen, wo sie damit erst vor zwanzig Jahren gescheitert sind?
Der Schriftsteller Dietmar Dath sagte mal auf einer Veranstaltung der zuletzt viel zitierten jungen Welt sinngemäß: Wenn wir Kommunisten mit aller militärischen Gewalt, die uns zur Verfügung stand, von der Roten Armee bis zur Mauer und zur Staatssicherheit, kein dauerhaftes gesellschaftliches Gebilde nach unseren Vorstellungen aufbauen und erhalten konnten, dann müssen wir daraus zumindest einen Schluss ziehen: Beim nächsten Versuch können wir auf diese unschönen Dinge verzichten.
Die Idee, es brauche die große Katastrophe, aus der dann eine neue, bessere Gesellschaftsordnung erwachse , die jedes Verbrechen rechtfertige, entstammt - im sympathischsten Fall - jugendlicher Unwissenheit. Sicher: Ohne den Ersten Weltkrieg keine Revolution von 1918; aber ohne den Ersten Weltkrieg auch kein Zivilisationsbruch, der die Barbarei von SA, SS und Wehrmacht erst möglich machte. In der Sehnsucht nach dem Weltenende steckt eine groteske Fehleinschätzung. Nur aus einer Gesellschaft, die sich nichtkriegerisch und demokratisch entwickeln kann, erwächst etwas Neues. Gewalt können die Manager und Kriminellen weltweit allemal besser.
Bleibt nachzutragen, dass die ganze Affäre im Kern natürlich keine Debatte über den "Kommunismus" ist, sondern eine politische Kampagne gegen die Linkspartei, ähnlich wie einst die der Republikaner gegen Bill Clinton. Da ging es auch nicht um die moralische Bewertung von Oralsex, sondern um Parteipolitik. Aber diese Kampagne ist zulässig. Die Linkspartei wird sie hoffentlich überleben. Der Oralsex und Bill Clinton haben es ja auch geschafft. Der Kommunismus"? Bitte nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel