Kommunikation per Boot: Im Spreewald geht die Post noch ab

Seit 20 Jahren verteilt Jutta Pudenz im Spreewald die Post mit dem Kahn. Längst ist sie Botschafterin der Region und ein sympathisches Aushängeschild der Deutschen Post AG - die sich sonst immer weiter von ihren Kunden entfernt.

Spreewald-Postbotin Jutta Pudenz bei der Arbeit. Bild: DPA

Ein blauerFleck, umrundet von ein paar Punkten - so sieht sie also aus, die Wade einer Postbotin, in die vor kurzem von einem Hund gebissen wurde. Das Handy mit dem Foto darauf macht die Runde. "Wollen Sie auch mal meine Wade sehen?", fragt Jutta Pudenz. Die Journalisten wollen. Schließlich sind sie wegen solcher Geschichten nach Lübbenau-Lehde in den tiefsten Spreewald gekommen. Und wegen der Tatsache, dass hier die Post nicht mit dem Rad oder dem Auto in die Haushalte gebracht wird, sondern von Frau Pudenz mit dem Kahn.

Seit 20 Jahren stakst sie in der wärmeren Hälfte des Jahres über die Kanäle, als einzige Postbotin des Landes mit einem solchen Gefährt. An diesem Tag beginnt ihre letzte Saison, dann geht sie in Altersteilzeit und eine Kollegin übernimmt. "Natürlich bin ich ein bisschen wehmütig", sagt Pudenz und lacht. "Ich arbeite, seitdem ich 17 bin. Jetzt gilt: Jugend voran!"

Der gelbe Kahn mit dem schwarzen Posthorn liegt zum Ablegen bereit. Eine Box mit Briefen und Zeitungen, ein paar Pakete, das ist die Fuhre für heute. 65 Haushalte bedient Pudenz, sechs Tage in der Woche, bei Wind, Wetter und Hochwasser. Die Saison dauert von April bis Oktober, im Winter wird die Zustellung mit dem Auto erledigt. "Das ist wesentlich aufwendiger", meint Pudenz. "Die Sache mit dem Kahn ist keine reine Folklore, das macht schon Sinn."

Die 58-Jährige trägt eine blaue Jacke mit gelben Schultern und schwarzem Posthorn auf dem Rücken. Die braunen Haare sind kurz und voluminös, die Turnschuhe an ihren Füßen praktisch. Acht Kilometer muss sie jeden Tag auf den Fließen genannten Kanälen des Spreewalds zurücklegen, das ist auch ein bisschen Sport. "Muskelkater bekomme ich aber schon lange nicht mehr", erzählt sie.

Eine Art Post-Star

Langsam möchte sie loslegen mit der Arbeit, das merkt man. "Ist ja ein ganz normaler Arbeitstag, und die Leute warten auf ihre Post", meint die Botin. Doch die Journalisten haben noch zu viele Fragen. Mit einer Engelsgeduld nimmt sich Pudenz ihrer an - sie ist die Aufmerksamkeit längst gewöhnt, als einzige Kahn-Postbotin Deutschlands.

"Bei der Post angefangen habe ich 1987", erzählt sie. Als junge Mutter habe sie damals eine Halbtagsstelle gesucht, und weil diese in der DDR so rar gewesen seien, habe sie bei der Post angefangen. Zunächst noch als Briefträgerin auf dem Landweg. Mit der Wende habe jedoch die Zahl der Versandpost und Pakete zugenommen. "Die mussten mit dem Auto zugestellt werden, und Führerscheine hatten in den meisten Fällen Männer." Für sie als Frau sei somit die Stelle als Kahn-Postbotin frei geworden. Denn mit dem Kahn fahren könne jeder. "Auch wenn ich mittlerweile einen Fährmannsnachweis gemacht habe", sagt Pudenz.

Dann geht es endlich los. "Ich lichte mal den Anker", sagt sie und zieht eine Art überdimensionierten Zelt-Hering aus der Erde. Routiniert manövriert sie ihren neun Meter langen Kahn um die 90-Grad-Kurve vom Anleger auf den Hauptkanal. Die zwei mit Journalisten beladenen Touristen-Kähne folgen ihr mit Minimalabstand. Der Kampf der Fotografen und Kameramänner um das schönste Motiv ist eröffnet.

Der erste Brief geht an Herrn Richter. Über 90 Jahre alt ist der Mann mit der blauen Daunenweste und der Helmut-Schmidt-Mütze, der auf einen Stock gestützt ans Ufer tritt. "Ein Urgestein des Spreewalds", flüstert ein Tonmann, und vielleicht erklärt das, warum Pudenz ihm einen Brief übergibt, auf dem außer der Briefmarke nur sein Name steht: "Herr Richter". Es wäre auf jeden Fall die schönere Lösung als die naheliegende Annahme, dass die Pressestelle der Post hinter dieser Zustellung steckt. Damit Fotografen und Kameramänner ein gutes Bild kriegen.

Der Wind pfeift

Der Himmel ist grau und es pfeift ein scharfer Wind, als die Reise weitergeht. Die Kälte trübt ein wenig die Idylle der Holzhäuser mit den großen Gärten, in denen alte Kähne liegen und neue Schilder vorbeifahrende Touristen zu "Spreewald-Hirsch" und "Spreewald-Folklore" einladen. Noch ist nichts los in den Restaurants und Cafés direkt an den Fließen, und auch auf dem Wasser sind außer der Postbotin kaum Kähne unterwegs.

Dann taucht am Ufer eine kleine Gruppe Touristen auf und sofort wird klar, dass die Kahn-Postbotin längst selbst Teil der großen Spreewald-Werbe-Maschinerie geworden ist. "Los, Herbert, schnell, mach ein Foto", treibt eine Frau in roter Funktionsjacke den Gatten zum Handeln an. "Die kenn ich aus der Zeitung", ruft eine andere. Einmal habe ihr Schwager sie in Kenia im Fernsehen gesehen, hatte Pudenz zu Beginn erzählt. Selbst in Afrika ist eine Frau, die die Post mit dem Boot verteilt, offenbar einen Bericht wert.

Pudenz macht ihren Job, die Journalisten ihre Bilder. Immer wieder muss sie einen Brief in einen Kasten in Form eines kleinen Holzhauses stecken. Wie die meisten Briefkästen ist er direkt neben dem kleinen Anleger am Kanal aufgebaut.

Am nächsten Gasthaus springt eine Dame durch den Garten, sobald sie die Botin erblickt. "Wir haben den Saisonstart verpasst; bis morgen steht unser Sommerbriefkasten", meint sie zu Pudenz, die ihr einen Stapel Briefe in die Hand drückt. Alternativ zu den Exemplaren am Kanal haben die Haushalte für den Winter einen Kasten in Straßennähe, der die eh schon kompliziertere Tour während der kalten Jahreszeit erleichtern soll. "Wie schön, keine Rechnung heute", meint sie dann. "Na ja, morgen komme ich wieder", sagt Pudenz.

Sechs Tage die Woche, 65 Haushalte, und das seit 20 Jahren - man kennt sich. "Ich bin hier für alle nur die Jutta von der Post", erzählt die Botin. "Selbst wenn ich Urlaub mache, wird meine Vertreterin mit Jutta begrüßt. Als wäre das ein feststehender Ausdruck." Ihre Nachfolgerin tritt ein schweres Erbe an.

Denn die Jutta spielt eine große Rolle für die Menschen aus Lehde. Schließlich bringt sie nicht nur die Post, sie leert auch die drei Briefkästen des Ortes und nimmt Briefe sowie Pakete direkt von der Haustür aus mit. "Mobiler Post-Service", liebevoll "Mops" genannt, heißt dieses Verfahren, das nach Vertrautheit und Gemütlichkeit klingt, aber für viele Menschen im ländlichen Raum nur eins bedeutet: Es gibt keine Postfiliale oder -annahmestelle mehr im Ort.

Die Post hat ihr Filialnetz rigoros zusammengekürzt. Kleine Ortschaften, in denen sich der Betrieb wirtschaftlich nicht mehr rechnete, wurden abgekoppelt, stattdessen der "Mops" eingeführt. Nun müssen die Menschen entweder den weiten Weg in die nächstgrößere Stadt in Kauf nehmen oder vormittags zu Hause sitzen und auf den Boten warten, dem sie ihre Post übergeben können. Ein großer Service-Verlust für viele Landbewohner.

Im Spreewald dagegen hat die fahrbare Postfiliale seit 100 Jahren Tradition. Hier ärgert man sich nicht über unzuverlässige Boten und schlechten Service, sondern freut sich, dass die Jutta überhaupt jeden Tag kommt. Sie ist das Sinnbild der alten, persönlichen und damit sympathischen Post, bevor die als Großunternehmen an der Börse landete und auf Profit getrimmt wurde.

Dieses positiven Images bedient man sich gerne, indem man Jutta Pudenz ebenso regelmäßig mit Journalisten zur Arbeit schickt wie ihre zwei bekannten Kollegen: Knut Knudsen, der über das Watt wandert, um den Bewohnern der Hallig Süderoog ihre Post zu bringen, und Andreas Oberauer, der mit der Gletscherbahn zur Arbeit auf der Zugspitze fährt. Dabei hat die Post mit Pudenz wirklich Glück gehabt bei der Wahl ihrer Servicebotschafterin. Stets freundlich, nie ungeduldig agiert sie mit der Journalistenmeute, die sie mit "Frau Pudenz, noch mal hier" und "lächeln!" über die Fließe scheucht. Immer wieder muss sie ihren Kahn vor und zurück navigieren, was bei Wind und Strömung alles andere als leicht ist. "Ich bin nicht nur Briefträgerin, ich bin Repräsentantin der Gegend", sagt sie. Da muss man freundlich sein und immer wieder die Geschichte erzählen, wie sie einst eine Hollywoodschaukel mit dem Kahn zustellte.

Ganz ruhig bleiben

Doch eines vergisst sie auch bei der Aufregung des heutigen Tages nicht. "Ich muss erst hier abbiegen, Post zustellen." Dann lässt Pudenz die Journalisten auf ihren großen Kähnen auf dem Hauptkanal zurück und verschwindet mit dem gelben Postgefährt in einem der schmalen Seitenarme. "Im Spreewald muss man ganz ruhig bleiben", entgegnet sie den ungeduldigen Journalisten. Die daraufhin von den Booten springen und ihr mit voller Fernsehausrüstung am Ufer entlang hinterhersprinten.

Zum Schluss des Termins holt Pudenz ihre Erinnerungsmappe heraus: Zeitungsausschnitte, Fotos, was sich in den vergangenen 20 Jahren Berichterstattung so angesammelt hat. "Sehen Sie, das bin ich mit Herrn Bötsch", sagt sie stolz. "Der hat im Spreewald Urlaub gemacht und wollte mich unbedingt kennen lernen. Daher die legere Kleidung." - "Herr Bötsch?", fragt der Post-Pressesprecher zurück. "Na, der letzte Bundespostminister!", sagt Jutta Pudenz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.