Kommunales Kino: Filmreife Ausbeutermethoden
Das Babylon Mitte hat bei Cineasten einen guten Ruf - bei seinen Mitarbeitern weniger. So häufen sich die Beschwerden über die offenbar miesen Arbeitsbedingungen. Und einem Kollegen, der daran etwas ändern will, wird überraschend gekündigt.
Anfang Mai begann im Kino Babylon in Mitte eine Filmreihe zu 1968. Ein umgekipptes Auto mit einer roten Fahne warb vor dem Kino in der Rosa-Luxemburg-Straße für den ersten Film. "Ein authentischer Hauch voller Kraft und Anarchie wird uns entgegenwehen", versprach das Programm. Ein Hauch von Anarchie - das trifft, glaubt man den Aussagen von MitarbeiterInnen, auch auf die Arbeitsbedingungen im Babylon Mitte zu.
Nun ist schlechte Bezahlung keine Besonderheit in der Film- und Kinobranche. Aber die Jobs derer, die im Babylon Mitte an Bar, Kasse und Einlass arbeiten, sind darüber hinaus höchst prekär. Wer dem Management nicht passt, fliegt raus - das erzählen mehrere KollegInnen und solche, die es waren. Und das, obwohl das Babylon Mitte als kommunales Kino gefördert wird und jährlich 320.000 Euro vom Senat erhält.
Als Jason Kirkpatrick die Werbung zu den Filmtagen über 1968 sah, wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Wenige Tage zuvor war ihm vom Babylon gekündigt worden. Mündlich, fristlos. Warum, darüber kann er nur spekulieren. Vielleicht, weil er eine Mail an die anderen Mitarbeiter geschrieben hatte, in der er vorschlug, manche Abläufe im Kino anders zu organisieren. Vielleicht, weil Angestellte nach sechs Monaten mehr Rechte bekommen. Der Erste, dem es so ging, war er nicht.
Kirkpatrick hat im Dezember 2007 angefangen, im Kino zu arbeiten. Als einer von rund 15 MitarbeiterInnen auf 400-Euro-Basis: StudentInnen, PraktikantInnen und andere, die sich mit zwei oder drei solcher Minijobs über Wasser halten. Die meisten sind noch nicht lange dabei, die Stimmung ist freundlich, alle duzen sich. 5,50 Euro die Stunde gibt es für den Einlass, 6 Euro für Kartenvorverkauf und Bar.
Als Kirkpatrick gut eine Woche im Babylon arbeitet, werden drei KollegInnen entlassen. Einer von ihnen, der Student Christian Horn, erhält zwei Tage vor Weihnachten einen Brief, dass sein Arbeitsvertrag Ende Dezember auslaufe. "Ich hatte zu Beginn einen Vertrag unterschrieben, der auf ein halbes Jahr befristet war", sagt Horn. "Aber ich dachte, das wäre eine Formalität und ich müsste nur einen neuen Vertrag unterschreiben." Doch sein Vertrag wird nicht verlängert. Er sei nicht engagiert genug gewesen, habe ihm Geschäftsführer Timothy Grossman gesagt. Und dass er einmal fünf Minuten zu spät gekommen sei. "Für mich kam das vollkommen überraschend", so Horn.
Die verbliebenen MitarbeiterInnen des Babylon Mitte wissen nichts Genaues über die Entlassungen ihrer KollegInnen, aber dass diese unerwartet kamen, ist ihnen nicht entgangen. "Ich habe von da an immer versucht, Feedback von der Kinoleitung zu bekommen", sagt Kirkpatrick. "Immer hieß es, ich würde meine Arbeit gut machen." Wie viele KollegInnen engagiert er sich im Babylon auch über seine Arbeitszeit hinaus. Er lädt für Grossman den Regisseur Wes Anderson ein, telefoniert auf eigene Kosten in die USA. In seiner Freizeit organisiert er ein japanisches Filmfestival.
Anfang April fragt Kirkpatrick per Mail, ob die Dienstbesprechungen nicht auch zur Arbeitszeit zählen und bezahlt werden könnten. Am 30. April schlägt er schriftlich vor, ein regelmäßiges Feedbacksystem im Kino einzurichten. Neue Mitarbeiter sollen nach drei und sechs Monaten eine Rückmeldung erhalten. Ein solches System habe es auch in einem Kino in Kalifornien gegeben, in dem er gearbeitet habe, er habe es in guter Erinnerung.
Mehrere MitarbeiterInnen antworten, sie fänden die Idee super. Die Antwort des Kinomanagements kommt wenige Tage später: Kirkpatrick wird fristlos gekündigt. Schon zwei Wochen zuvor hat er keine Schichten mehr zugeteilt bekommen. In der Belegschaft heißt es, das sei ein übliches Verfahren, bevor jemand rausfliegt.
Zusammen mit anderen MitarbeiterInnen schreibt Kirkpatrick einen offenen Brief an das Management. "Wir sind der Meinung, dass die gesamte Arbeitsatmosphäre von einer menschlicheren Behandlung der Mitarbeiter (und das schließt eine gewisse Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen bei Personalfragen ein!) profitieren würde", heißt es darin. Von Grossman erhält er erneut eine fristlose Kündigung, dieses Mal schriftlich. Im Gespräch habe ihm der Geschäftsführer erklärt, ein anderer Manager habe beobachtet, dass er die Karten am Einlass nicht korrekt kontrolliert habe. Und dass er zweimal zu spät gekommen sei.
Unheimlich freundlich
"Ich glaube, dass Jason gehen musste, weil er Stress gemacht hat", sagt Christoph Arndt. Er arbeitet noch im Babylon, und deshalb soll sein richtiger Name auf keinen Fall in der Zeitung stehen. Laut Arndt ist die Stimmung seit Jasons Kündigung sehr angespannt. Man erzähle, das Management wolle bald mehr Leute entlassen. Viele hätten Angst, manche suchten nach einen neuen Job.
Das Problem sei, dass auf den ersten Blick alles so unheimlich freundlich wirke, sagt Arndt. Das Gehalt sei zwar dürftig, aber viele würden das in Kauf nehmen, weil sie gern im Kino arbeiten. "Das wirklich Belastende ist die Unsicherheit, die Willkür, diese prekäre Situation." Man wisse nie, ob man seinen Job am nächsten Tag noch habe. Spätestens seit Jasons Kündigung sei das allen klar.
Doch Kirkpatrick gibt nicht klein bei, hat seinen ehemaligen Arbeitgeber verklagt. Am heutigen Dienstag findet die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht statt. Rechtsanwalt Martin Bechert kann über die Arbeitsbedingungen im Babylon nur den Kopf schütteln. Sein Mandant habe nicht einmal einen schriftlichen Vertrag gehabt. Und selbst wenn, so Bechert, wäre der unwirksam. Alle Arbeitnehmer hätten ein Recht auf bezahlten Urlaub - den aber gibt es für die "Aushilfen" im Babylon nicht. Auch das im Babylon übliche System, Mitarbeitern mal mehr, mal weniger Schichten zuzuteilen oder auch gar keine mehr, wenn sie nicht mehr erwünscht seien - "das geht so rechtlich nicht". Solche Arbeitsbedingungen seien in der Gastronomie weit verbreitet, sagt der Anwalt. Aber von einem kommunalen Kino erwarte man so etwas eher nicht.
Geschäftsführer Grossman möchte sich zu alldem nicht äußern. "Wenn Mitarbeiter Probleme haben, können sie sich an uns wenden", sagt er. Er halte nichts davon, interne Probleme über Dritte oder die Presse auszutragen. Er wisse auch nur vom Fall Kirkpatrick. "Sonstige Probleme mit Mitarbeitern sind mir nicht bekannt."
Zumindest Letzteres trifft offensichtlich nicht zu: Erst vor wenigen Wochen wurde einem weiteren Mitarbeiter gekündigt. In einer Form, die, wie er sagt, nur im Babylon Mitte möglich ist: nicht mündlich, nicht schriftlich, sondern einfach, indem ihm keine Schichten mehr zugeteilt wurden. "Nach einem Erholungsurlaub zu fragen oder nach dem Dienstplan, um seine Zeit planen zu können, kommt im Babylon einem Verbrechen gleich", sagt der ausgebootete und enttäuschte Kollege. Auch er überlegt nun, gegen das Babylon vor Gericht zu ziehen.
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