■ Kommentare: Kreuzberger Biedermeier
Die Buttersäure, die Mittwoch nacht im Sputnik-Kino auf die Filmkopien von Christoph Schlingensiefs „Terror 2000“ geschüttet, das Tränengas, das dem Vorführer in die Augen gesprüht wurde, sind aus demselben Material wie die Brandsätze auf das Kino Babylon, das sich erfrecht hatte, Thomas Heises Film „Stau“ zu zeigen, einem der wenigen Dokumentarfilme, die rechter Subjektivität einen Platz im Film zugestehen. Mit Anschlägen ist auch zu rechnen, wenn Romuald Karmakars „Warheads“ gezeigt wird, einem eher wohlgesonnenen Porträt mehrerer Söldner. Der Impuls, Bilder zu verbieten, die nicht fernsehgerechte Häppchen moralinsaurer Antifa-Didaktik sind, entspringt einem eigentümlich archaischen Glauben an die Macht der Bilder – als seien die Bilder verantwortlich für eine Realität, die diese wildgewordenen Kleinbürger nicht kontrollieren können, für Sexismus, Rassismus und Neonazismus. Das Ulkige ist, daß sie sich jedenfalls mit Schlingensiefs Widerwillen gegen alle Formen bürgerlicher Öffentlichkeit, den nicht handgreiflichen Formen politischer Willensbildung durchaus einig sind. Mit ihm teilen sie auch den Ekel vor Sex, die protestantische Abneigung gegen die Wohlstandsgesellschaft, das pubertär-verschwitzte Abarbeiten an den Eltern. Da haben sich ein paar Leute nur mißverstanden: Eigentlich könnten Botho Strauß, die vermummten Biedermeier aus Kreuzberg und Schlingensief prima in einem Boot sitzen; sie haben's bloß noch nicht bemerkt. Mariam Niroumand
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