■ Kommentare: Eine geringe Scheidungsrate begünstigt exzessive Untreue i Reine Fassade
Nach Umfragen einiger demoskopischer Institute ist es in der italienischen Erwachsenenwelt mit der Treue nicht weit her. Frauen betrügen ihre Männer angeblich zu mehr als 65 Prozent, Männer ihre Frauen zu weit über 50 Prozent. Das katholischste aller Länder scheint damit auch einen Rekord an Doppelmoral zu halten, denn offiziell sind Trennungen und Scheidungen zwar im Vormarsch. Im Vergleich zu „säkularisierten“ Gesellschaften wie der deutschen oder der französischen und gar der US- amerikanischen ist dies aber kaum von Bedeutung.
Vielleicht ist aber gerade diese geringe Trennungsrate der Grund für die exzessive Untreue. In Italien ist die Wahrung des Gesichts wichtiger als alles andere. Ein Mann kann soviel ins Bordell gehen, wie er will, Hauptsache, er läßt sich nicht mit seinen Nebenfrauen sehen. Wir kennen Berichte, nicht nur aus dem mafiosen Milieu, wonach Männer alleine deshalb ermordet wurden, weil sie ihre angetrauten Frauen erniedrigt haben, indem sie sich öffentlich zu ihrer Freundin bekannten. Daß sie schon jahrelang von ihrer Ehefrau getrennt waren, tat nichts zur Sache. Hingerichtet werden sie meist von den Brüdern oder dem Vater der Frau, aber es gibt auch Fälle, in denen der eigene Vater dabei mitgeholfen hat. Natürlich sind das Extremfälle. Meist wird der Mann von den Verwandten gezwungen, sich mit seiner Gattin zu zeigen und, wenn möglich, noch ein Kind mit ihr zu zeugen, danach kann man die Sache vergessen.
Umgekehrt wiegt es allerdings schwerer. Eine Frau, die ihren Mann zum Gehörnten macht, verdient nach weitverbreiteter Meinung den Tod. Natürlich wird das nicht ausgeführt, aber oft versuchen die Männer dann Rache zu nehmen. Lina Wertmüller hat das in dem Film „Mimi metallurgico ferito nell'onore“ (Der Metallarbeiter Mimi ist in seiner Ehre verwundet worden) auf erschütternde Weise dargestellt: Der Mann aus Catania, der an seinem oberitalienischen Arbeitsplatz unbekümmert ein Verhältnis mit einer anderen Frau eingeht und mit ihr Kinder hat, wird von den Brüdern seiner Frau über deren Untreue informiert und ist in Versuchung, diese totzuschlagen. Doch dann denkt er sich eine wirksamere Rache aus: Er umgirrt die Frau des Zollbeamten, der seine Frau geschwängert hat, solange, bis diese nachgibt und danach von ihm ein Kind erwartet und macht diesen „reinigenden“ Racheakt dem gesamten Viertel bekannt.
Italiens Literatur ist voll von Episoden, die sich um die „Untreue“ derer rankt, die den Schein wahren müssen, auch wenn die Scheidung längst legal und Wiederverheiratung nicht mehr mit einem Makel behaftet ist. Vielleicht ist es für viele die leichtere Lösung, sich außerhalb der Beziehung eine weitere zu halten, in der man alles das ablädt, was man in der Ehe längst nicht mehr abladen kann. Und darin ist dann Italien gar nicht mehr so verschieden von anderen Ländern. Elena Grassi
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