■ Kommentare Frankreich könnte eine Labour Party gut brauchen: Jospin ist nicht Blair
Es gehört zum guten Ton, das britische neoliberale Modell herablassend zurückzuweisen – vor allem, da jeder die sozialen Schwächen dieses Modells kennt und kein Mensch vorschlägt, es auf Frankreich zu übertragen. Interessant beim Erfolg Tony Blairs ist, daß er sein Programm und seinen Willen nach sozialem Fortschritt nicht in Ablehnung des neoliberalen Zustands der Gesellschaft entwickelt hat, sondern im Aufbau darauf. Auch nur ein Viertel dieses Projekts nach Frankreich zu importieren, hieße, sich hier als neoliberaler Extremist brandmarken zu lassen. Und, wie es einer unserer Sozialistenführer gesagt hat, „wenn Tony Blair ein Viertel von Lionel Jospins Programm übernähme, würde er als gefährlicher Linker gelten.“
Die neue Labour-Orientierung bedeutet Vertrauen in die Freiheit des einzelnen, bereichert um die Dimension der Verantwortung. Es ist ein Modell des sozialen Aufstiegs nach Verdienst statt nach Geburtsrecht und Privateigentum. Es ist die Ablehnung der Wohlfahrtsabhängigkeit. Tony Blair weigert sich, die Staatsausgaben zu erhöhen. Er will die Unternehmenssteuern sowie teilweise auch die Mehrwertsteuer senken, aber die Einkommenssteuern nicht erhöhen. Privatisierungen rückgängig zu machen, kommt nicht in Frage, ebensowenig wie eine Rückwende bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Blair lobt sogar: „Großbritannien hat die liberalsten Sozialgesetze Europas.“ Sozialer Fortschritt heißt bei ihm die Einführung des Mindestlohns, wie es ihn in Frankreich zum Glück längst gibt – aber auf niedrigem Niveau und in einer „flexiblen“ Weise. Blair verspricht, mit Gewerkschaften „unbeugsam“ umzugehen.
Der Erfolg Tony Blairs zeigt, daß zwischen Frankreich und dem Rest der Welt ein tiefer Graben aufgebrochen ist. Wir haben eigene Ideen. Die Rechte und noch mehr die Linke sind in einem Staatsdenken aus einer vergangenen Epoche gefangen und sind unfähig, die notwendigen Veränderungen der Gegenwart anzugehen. Eine moderne Gesellschaft muß auf einem neoliberalen Zugang aufbauen – warum nicht auf dem politischen Wechsel zwischen neoliberalen Rechten und Linken? Lionel Jospin ist aber kein Tony Blair. Sein Pech. Nicht alle haben das Glück, einen Labour-Premierminister zu kriegen. Alain Madelin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen