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KommentarKrimi am Hindukusch

Kommentar von Anett Keller

Die Taliban beherrschen das Spiel mit den westlichen Medien effektiv. Die Nachrichtenagenturen sollten sich deshalb auf das journalistische Handwerk besinnen und ihre Quellen überprüfen.

S eit in Afghanistan zwei Deutsche und 23 Südkoreaner entführt wurden und kurzzeitig ein deutscher Stern-Reporter als vermisst galt, herrscht medialer Ausnahmezustand. Bislang hielt sich das Interesse der deutschen Öffentlichkeit an der Lage im Land in Grenzen. Nun aber überschlagen sich die Nachrichtenagenturen mit Eilmeldungen aus Kabul. Meist beruhen sie allerdings bloß auf Telefonaten mit Taliban-Sprechern wie Kari Jussif Ahmadi, der immer wieder zu den Entführungen zitiert wird. Er schaffte es am vergangenen Wochenende immerhin, das Auswärtige Amt aus der Reserve zu locken, das sonst eine enorme Zurückhaltung bei Geiselnahmen pflegt.

Die Bundesregierung spricht von "Propaganda". Zu Recht. Denn wie die internationalen Truppen, so versuchen auch die Taliban, die Öffentlichkeit in Afghanistan und im Westen von ihrer Sache zu überzeugen. Nun zeigt sich, wie effektiv die Taliban das Spiel mit den Medien inzwischen beherrschen. Im aktuellen Entführungsfall liefern sie mit ihren Meldungen über verstrichene Ultimaten, unmittelbar bevorstehende Hinrichtungen oder bereits getötete Geiseln den Stoff für einen spannenden Krimi, den die Leser aus sicheren Gefilden mit einem Gruselschauer verfolgen können.

Sie erreichen damit gleich zwei Ziele: Zum einen wird es in Zukunft noch schwerer werden, professionelle Wiederaufbauhelfer für Afghanistan zu gewinnen, von Glückssuchern und Abenteurern einmal abgesehen. Außerdem beeinflusst die Propaganda der Taliban die öffentliche Meinung in jenen Ländern, in denen über die Fortsetzung militärischer Einsätze entschieden werden muss.

Die Nachrichtenagenturen, die zu den wenigen Medien gehören, die noch kontinuierlich Journalisten vor Ort haben, geraten schnell in die Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Um dieser Gefahr zu entgehen, bleibt ihnen nur die Besinnung auf journalistisches Handwerk: Quellen überprüfen und offenlegen, Gerüchte als Gerüchte kennzeichnen. In aufgeregten Zeiten wie diesen scheint diese Grundregel jedoch gelegentlich in Vergessenheit zu geraten.

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