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KommentarLob des Beziehungsgesprächs

Kommentar von Dirk Kniphals

Ingmar Bergman wollte mit "Szenen einer Ehe" erreichen, dass Paare miteinander über ihr Glück reden. Das Reden geht weiter.

W as er mit seinem Film "Szenen einer Ehe" habe erreichen wollen, wurde Ingmar Bergman einmal gefragt. Er wolle, so antwortete der gestern verstorbene Filmregisseur, dass sich Ehepaare nach dem Kino in die Küche setzen, zwei Bier aus dem Kühlschrank holen und sich darüber unterhalten, ob sie eigentlich glücklich miteinander sind. Wie schlicht und selbstverständlich das heute klingt! Und doch war das damals, Anfang der Siebzigerjahre, ein zentraler Gründungsakt der bundesrepublikanischen Zivilgesellschaft.

Denn so geschah es ja auch. Nachdem die von rigiden Männer- und Frauenrollen eingeengten Paarbeziehungen der Fünfzigerjahre ihre Selbstverständlichkeit verloren und die Flower-power-Träume rund um freie Liebe in den Sechzigern an Strahlkraft eingebüßt hatten, setzten sich - oft von Bergman inspiriert, angeleitet oder bestärkt - Männer und Frauen an die Küchentische und redeten und redeten und redeten. Über sich. Über ihre Probleme und ihre Gefühle.

Man hat inzwischen gelernt, sich über die Selbstzerfleischungstendenzen und den frühen K-Gruppen-Ernst dieser speziellen Kommunikationsform lustig zu machen. Die berühmt-berüchtigten Beziehungsgespräche! Und doch bildeten sie das emotionale Gegenstück zur sehr viel bildmächtigeren sexuellen Revolution. Erst durch sie wurden die gesellschaftlichen Emanzipationsbewegungen wirklich praktisch: ein sich in WG- und Familienküchen vollziehendes zähes Ringen darum, wie man die erreichte Freiheit denn konkret umsetzen will.

Bergmans Tod bietet einen Anlass, sich zu fragen, was aus diesem Reden inzwischen eigentlich geworden ist. Schließlich scheinen im öffentlichen Gespräch eher Krippenplätze und Geburtenraten im Vordergrund zu stehen, es geht weniger um Emanzipation und Glück. Und der letzte Harry-Potter-Band endet, nachdem sich alle Paare gekriegt haben, mit dem Satz: "All was well." Als ob es dann gar nichts mehr zu besprechen gäbe!

Aber, ach, das ist nur Schein. Vielleicht lagert bei vielen Paaren heute statt Bier eher Prosecco im Kühlschrank. Doch hinter die "Szenen einer Ehe" gibt es kein Zurück. Unter der Oberfläche geht das Reden weiter.

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