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KommentarTriumph der Verschwörungstheorie

Kommentar von Ralph Bollmann

Hamburgs Innensenator Nagel will ein Verbot von Scientology erreichen - eine unaufrichtige Forderung in einer Debatte mit zu wenig Rationalität.

E rst die Einweihung der Berliner Scientology-Zentrale, dann die Debatte um den Stauffenberg-Darsteller Tom Cruise, schließlich die 14-jährige Aussteigerin, die vor ihrer Stiefmutter nach Hamburg flüchtet: Wer im letzten halben Jahr die Nachrichten verfolgte, der konnte den Eindruck gewinnen, dass die umstrittene amerikanische Organisation demnächst die Macht in Deutschland übernehmen wird.

Bild: taz

Ralph Bollmann ist Leiter des Inland-Ressorts der taz.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Scientology mit seiner Mitgliederwerbung hierzulande plötzlich viel erfolgreicher wäre als in der Vergangenheit, gibt es nicht. Laut zu sagen trauen sich das aber fast nur noch Politiker, die aus Altersgründen die Rache des Wahlvolks nicht mehr fürchten müssen - etwa Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der zu Jahresbeginn ganz nüchtern feststellte, der Erfolg der Scientologen sei in seinem Bundesland "sehr gering".

Alle anderen flüchten sich unter dem Druck der hysterischen Debatte, die hauptsächlich von einer Aura des Geheimnisvollen zehrt, in ziellosen Aktionismus. Da wird einfach ein Verbot der Organisation gefordert oder zumindest wie in Berlin die neuerliche Observation durch den Verfassungsschutz angeordnet, da werden Drehverbote für Schauspieler gefordert oder spezielle Scientology-Beauftragte in allen Bundesländern verlangt. Das Fatale daran ist: Mit ihren maßlosen Verschwörungstheorien verfallen die Kritiker in just jene mentalen Muster, die sie der kritisierten Organisation vorhalten.

Besonders unaufrichtig wird es, wenn Hamburgs Innensenator Udo Nagel angeblich bei seinen 15 Länderkollegen ein Verbot von Scientology erreichen will. Dass das bei einer Organisation kaum möglich ist, die gleichzeitig vom Verfassungsschutz überwacht wird, sollte ihm aus der NPD-Debatte bekannt sein. Nagels "Scientology-Beauftragte" wollte bei der gestrigen Vorstellung ihres "Schwarzbuchs" zunächst nicht einmal eine präzise Begründung für die Verbotsforderung abgeben. Das ist bezeichnend für die mangelnde Rationalität der Diskussion.

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8 Kommentare

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  • M
    Moser

    Es ist wichtig, dass die Hysterie hinterfragt wird. Scientology tritt in allen Ländern etwa gleich auf, die Schriften von Hubbard sind überall identisch. In der Schweiz, Italien oder Oesterreich integriert sich Scientology immer mehr in die Gesellschaft und wird auch mehr und mehr akzeptiert. Nur in Deutschland braucht es offenbar ein Feindbild auf das gewisse Leute einschalgen müssen, um sich zu beweisen.

  • SG
    Stephan Gebhardt-Seele

    Sehr geehrter Herr Bollmann,

    wie man an den aktuellen Entwicklungen sieht (Cruise darf jetzt auf Intervention aus dem Kanzleramt hin doch im Bendlerblock drehen), haben Sie völlig recht gehabt mit Ihrer Einschätzung. Hysterie, Verschwörungstheorien und die Pflege von Vorurteilen bringen uns nicht weiter, sind nur peinlich und schaden dem Ruf des ganzen Landes. Scientology mag manchen Leuten nicht gefallen, aber das gilt schließlich auch für den Frankfurter Flughafen, die CSU, die sexuelle Ausrichtung des Berliner Bürgermeisters und die katholische Kirche. Also was solls? Schließlich soll das hier ja eine Demokratie sein, und da fordern Sie völlig richtigerweise die gebotene Sachlichkeit und Rechtsstaatlichkeit ein.

  • M
    Marc

    Den Ruf nach Verbot kann ich nur unterstützen. Als ehemaliger Betroffener weiß ich allzu gut um die Vorgehensweise der Firma. Die Entscheidungsträger dort handeln menschenverachtend, inhuman und rücksichtslos. Die Ideologie, die ihr Handeln bestimmt, ist zutiefst faschistoid. Keine andere Organisation wird in Deutschland so maßlos unterschätzt wie diese.

  • M
    myjob

    Unabhängig von der Frage, ob ein Verbot hier politisch sinnvoll und rechtlich durchsetzbar ist, hätte ich doch gerne von Herrn Bollmann eine Erklärung, wie er zu der absurden Vorstellung kommt, dass eine vom Verfassungsschutz beobachtete Organisation nicht verboten werden könne.

  • MB
    Marcel Bartels

    Ein Verbot ist genau die richtige Antwort, um diese Organisation zu stoppen.

     

    Scientology ist eine Organisation, die mit Geheimdienstmethoden wie Infiltration der besseren Kreise arbeitet.

     

    Außerdem leistet Scientology erstklassige PR-Arbeit. Da darf man auf viele harte Beweise für zunehmenden Erfolg nicht hoffen. Um so erfolgreicher Scientology ist, um so besser gelingt es, Beweise nach dem bekannten Sachsensumpf-Muster zu unterdrücken.

     

    Wenn dieser Artikel kein Anhaltspunkt dafür ist, wie erfolgreich und unauffällig die Mitgliederwerbung von Scientology funktioniert, was dann?

  • H
    HKohler

    Das was Frau Caberta sich da gerade leistet, kann wirklich nur noch als hysterisch bezeichnet werden. Wie soll so ein Verbot denn funktionieren, wenn es noch nicht einmal Verurteilungen von Mitgliedern gegeben hat? Dies ist nichts anderes als Stimmungsmache durch das Aufzählen von Wahnvorstellungen und abstrusen Ideen. Die Debatte um die Religionseigenschaft von Scientology sollte nun endlich mal von vernünftig denkenden Menschen übernommen werden, die auch in der Lage sind, objektiv eine Stellungnahme abzugeben. Offenbar traut sich da bis jetzt noch niemand.

  • K
    Kronenbauer

    Ich glaube kaum, dass es jemand besser hätte formulieren können. Danke für den beherzten Kommentar!

  • B
    BigOlsen

    Bravo! Ein Journalist oder Kommentator, der es begriffen hat und auch offen ausspricht, was er da begriffen hat. Respekt!