piwik no script img

KommentarDie Freiheit und Fähigkeit zur Wahl

Isolde Charim
Kommentar von Isolde Charim

Die Kinder-Verbraucher-Analyse wirft pessimistische Vorstellungen über heutige Kinder über den Haufen - und zeigt: Erziehung nützt doch etwas.

W ie stellt man sich die Jugend der Medien- und Konsumgesellschaft eigentlich vor? Irgendwie geistert da immer noch die Horrorvision herum, unsere Kinder würden den amerikanischen Albtraum leben und vollgefressen vor dem TV verkommen oder sich an der Playstation sadistische Spiele reinziehen - saturierte Produkte eines entgleisenden Konsumismus.

Und nun kommt die Kinder-Verbraucher-Analyse, wirft all diese Vorstellungen über den Haufen und präsentiert uns ein unerwartetes Bild der "heutigen Jugend". Diese würde nicht nur über ungewöhnlich viel Geld verfügen, sie würden dieses auch noch sparen. Die Kinder sind also keineswegs willenlos mitgerissen im Strom eines endlosen Konsums, sondern haben die wesentliche Kulturlektion verinnerlicht, den Aufschub der Triebbefriedigung. Sie sind nicht mehr erschlagen von Angebot und Möglichkeiten, sondern können umgehen damit, dass es alles gibt und sie nur manches kriegen. Dazu passend unterstreicht die Studie die erhöhten Freiräume, die den Kindern zugestanden werden. Die Verbraucheranalyse bestätigt also in erster Linie unseren Erfolg: Ja, Erziehung nützt doch etwas. Nach reiner Disziplinierung und deren Umschlag in die autoritätsfreie Summerhill-Pädagogik scheinen wir nun bei einer vernunftgeleiteten Erziehung angelangt zu sein.

Und doch sind das nicht nur unsere Kinder, sondern auch jene des fortgeschrittenen Konsumkapitalismus. Waren wir noch Godards "Kinder von Marx und Coca-Cola", die dem Konsum nur dort folgten, wo er Bilder von Freiheit entwarf, so haben diese Kinder heute ein nüchterneres Verhältnis zur Vielfalt sowie den Verheißungen der Konsumwelt. Die Freiheit ist die Freiheit und die Fähigkeit zur Wahl geworden. Sie sind nicht mehr erschlagen vom Angebot, dem sie sich weder vollkommen ausliefern noch ganz entziehen müssen. Die Freiheit dieser Kinder liegt nicht jenseits des Konsums, sondern in dessen Begrenzung. Wir haben sie, scheints, zu selbstbewussten Konsumenten erzogen - dem höchsten Subjektstatus, den man heute erreichen kann.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • WH
    Wolfgang Hörner

    Wie ist es eigentlich mit der Sparsamkeit der Millionen Kinder, die in Armut aufwachsen? Wieso bezieht sich Frau Chorim auf verdummende Statistiken? Wenn nämlich ein Kind 10000 Euro Vermögen hat, das andere 0, dann ist das Durchschnittsvermögen der zwei Kinder 5000 Euro.

    Und selbstbewusster Konsum als höchster Subjektstatus?

    Erich Fromm beschrieb schon in seinem Buch "Haben oder Sein" den Weg vom homo sapiens zum homo consumens.

    Wohin geht der journalistische Weg der taz?

     

    MfG

    Wolfgang Hörner