piwik no script img

KommentarSpäte Modernisierung in der Sahara

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Mauretanien schafft die Sklaverei ab - nicht aber unmenschliche Arbeitsbedingungen. Trotzdem ist die Modernisierung des muslimischen Landes bemerkenswert.

M auretanien nimmt in der düsteren Geschichte der Sklaverei eine Schlüsselrolle ein. Hier nahm der europäisch-afrikanische Sklavenhandel 1444 seinen Anfang. Dass es erst jetzt, 2007, in Mauretanien zur offiziellen Abschaffung und Kriminalisierung der Sklaverei kommt, macht deutlich, wie unterschiedlich die sozialen Verhältnisse auf der Welt trotz Globalisierung immer noch sind.

Bild: taz

Dominic Johnson ist Afrika-Experte der taz.

Sklaverei in Mauretanien hat allerdings wenig zu tun mit dem Klischeebild von ausgemergelten Figuren, die in Ketten Zwangsarbeit auf Plantagen leisten. Es ist eine klassische Form der Leibeigenschaft, nach der eine Familie einer anderen gehört - und zwar in diesem Fall eine schwarzafrikanische Familie einer maurischen. In jeder Hinsicht haben die Besitzer die Verfügungsgewalt über ihr Eigentum, ob ökonomisch oder sexuell. Dies ist eine leidvolle und brutale Tradition, die nicht nur älter ist als der transatlantische Sklavenhandel, sondern diesem vermutlich sogar zugrunde liegt.

Mit einem darf die Abschaffung von Sklaverei allerdings nicht verwechselt werden: mit dem Ende unmenschlicher Arbeitsbedingungen. In sich ungestüm industrialisierenden Volkswirtschaften wie China kommen immer wieder Fälle von unvorstellbaren Ausbeutungsverhältnissen ans Licht, die dann zumeist als "sklavenähnlich" beschrieben werden. Meist ist es aber das genaue Gegenteil: Der Ausbeuter fühlt nicht die geringste Verantwortung für sein Opfer, das ja nicht einmal ihm gehört.

Dass es bis heute in Mauretanien Sklaven gibt, während das Land sich gleichzeitig in einem atemberaubenden Maße urbanisiert und modernisiert, konnte nicht mehr lange Bestand haben. Sobald ein Land das universelle Wahlrecht und eine Demokratie einführt, wie es in Mauretanien in den letzten zwei Jahren geschah, ist die traditionelle Leibeigenschaft nicht mehr zu legitimieren. Dies, viel mehr als internationale Appelle, hat den Bewusstseinswandel ermöglicht. Gerade in einem so streng muslimischen Land wie Mauretanien ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung. Insofern ist es beispielgebend dafür, wie Modernisierungsprozesse ablaufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!