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KommentarHeuchelei der Privatisierer

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Mindestens so bedenklich wie das Streikverbot für die Lokführer durch das Nürnberger Arbeitsgericht sind die Reaktionen darauf.

K ein Bahnstreik in der Urlaubszeit, so hat das Nürnberger Arbeitsgericht entschieden. Dieses Urteil ist skandalös. Das Streikrecht ist ein zentrales Element unseres Wirtschafts- und Sozialsystems und aus gutem Grund in der Verfassung garantiert. Verspätungen bei einer Urlaubsreise oder Produktionsverzögerungen bei Unternehmen müssen dafür in Kauf genommen werden.

Bild: taz

Malte Kreutzfeldt (35) ist Leiter des taz-Ressorts Öko & Wirtschaft

Beim Nürnberger Fehlurteil besteht die berechtigte Hoffnung, dass es in der nächsten Instanz korrigiert wird. Mindestens so bedenklich wie der Richterspruch sind jedoch die Reaktionen darauf. Nicht nur aus der Industrie gibt es Beifall. Auch CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos hat das Streikverbot offen begrüßt, weil es "Schäden für die Wirtschaft" verhindere. Das offenbart nicht nur ein merkwürdiges Verständnis von Tarifverhandlungen - die Idee des Streiks beruht ja gerade darauf, durch Arbeitsniederlegung wirtschaftlichen Druck aufzubauen. Es zeugt auch von einer doppelzüngigen Argumentation.

Von wirtschaftsliberaler Seite wurde die Privatisierung wichtiger öffentlicher Betriebe wie Post oder Bahn stets damit begründet, dass es sich dabei nicht um hoheitliche Aufgaben handele; statt vom Staat könnten sie darum ebenso gut von Privatunternehmen übernommen werden. Doch wenn die Mitarbeiter der ehemaligen Staatsbetriebe dann - wie ihre Kollegen in anderen Unternehmen auch - zum Mittel des Streiks greifen, erinnert sich die Politik auf einmal wieder an die übergeordnete Bedeutung dieser Branchen und fordert ein Streikverbot.

Diese Heuchelei ist unerträglich. Es ist schön, wenn sich beim Wirtschaftsminister plötzlich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Bahn kein Unternehmen ist wie jedes andere. Sondern ein Verkehrsträger, auf den das ganze Land angewiesen ist. Die richtige Konsequenz daraus ist allerdings nicht die Forderung nach einem Streikverbot. Sondern eine schnelle Absage des geplanten Ausverkaufs der Bahn an Privatinvestoren. Man muss ja nicht gleich wieder zur Beamtenbahn zurückkehren. Aber bei zentralen öffentlichen Aufgaben darf der Staat seinen Einfluss auf Geschäfts- und Tarifpolitik nicht aufgeben.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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6 Kommentare

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  • M
    MA-Bu

    Alle reden vom Klimawandel, von der Notwendigkeit den klimaschädigenden Individual- und Güterverkehr schnellstmöglich durch umweltschonende Nah- und Fernverkehrsangebote auf der Schiene zu ersetzen, aber statt dessen kommt zur völligen Unzeit die Privatisierung. Wo bleibt da die Daseinsvorsorge, die insbesondere die wirtschaftlich wenig lukrativen Nah- und Regionalverkehrsnetze betrifft. Wenn der Staat Geld braucht, sollte er lieber Flugbenzin und Flugtickets endlich besteuern und mehr in das weiterhin öffentliche Schienennetz investieren. Wer dann darauf fährt und zu welchen Kosten kann dann immer noch diskutiert werden.

  • A
    Andrea

    Der Wohlstand der Gesellschaft ist in den letzten Jahren insbesondere durch den Kapitalismus und dessen Wettbewerb gestiegen. Wenn man sich mal den Mobilfunkmarkt anschaut, ist eine positive Bilanz für den Kunden offen sichtlich! Ebenso kann das Ergebnis nach der Privatisierung der Deutschen Bahn aussehen. Denn nur durch einen offenen Markt gibt es auch ein vielseitiges Angebot. Somit könnten Strecken, welche die Deutsche Bahn nicht mehr bedient, von einem anderen privaten Eisenbahnunternehmen übernommen werden. Einen Streik in diesem Ausmaß, wie wir ihn momentan erleben, könnte sich ein privates Unternehmen kaum leisten. Die Vorteile liegen auf der Hand: meinebahndeinebahn.de. Doch um diese als Kunde zu genießen, benötigen wir eine staatsunabhängige, private Bahn.

  • A
    Alster

    Wird die Demokratie zur Farce?

    Es muss eine Katharsis durch die

    Reihen der Politiker fahren. Und

    dazu kann der Wähler beitragen, indem

    er nicht immer diegleichen Schwätzer

    wählt.

  • WF
    Winfried Frenzle

    Jüngstes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Afghanistaneinsatz, Einsatz der Bundeswehr im Inneren (Tornado, gepanzerten Fahrzeugen gegen Demonstanten in Heiligendamm), Verschachern der Bahnanteile an bereits handverlesene Investoren und auch dieses Urteil gegen das Streikrecht stellen für mich massive Angriffe gegen die Verfassung dar.

    Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sollte nicht, wie gefordert, der Linkspartei, sondern den Institutionen, Parteien und Politikern gelten, die offensichtlich einen anderen Staat wollen.

    Winfried Frenzle

  • KF
    Klaus Frisch

    Schön auf den Punkt gebracht. Danke!

  • HM
    Heinrich Müller

    Sehr geehrter Herr Kreutzfeldt,

     

    ich habe schon lange keinen inhaltlich wie auch stilistisch so guten Kommentar mehr gelesen und kann Ihnen dafür nur herzlich danken.

    Gewisse Kräfte versuchen hier wieder einmal, zuerst einmal einen Fuß in die Tür zum Abbau verfassungsmäßig garantierter bürgerlicher Rechte und Freiheiten zu bekommen. Später darf dann nur mehr an einem Schlechtwettertag im Jahr zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens gestreikt werden, und das natürlich nur schweigend, damit niemand geweckt wird. Merke: Nichts ist zu dreist und rücksichtslos, als dass es von den Kapitalisten und ihren Handlangern nicht versucht würde.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Heinrich Müller