Kommentar: Im Senat gehts um die Wurst
Finanzsenator Sarrazin hat einen Speiseplan für Hartz-IV-Empfänger erstellt. Die Linke kocht vor Wut. Dabei sollte sie dem Senator dankbar sein.
F inanzsenator Thilo Sarrazin hat mal wieder kräftig ausgeteilt. Obst, Gemüse und Nudeln - all das könne sich ein Hartz-IV-Empfänger mit dem Tagessatz von 4,25 Euro locker leisten, hat Berlins oberster Pfennigfuchser errechnen lassen. Und der Koalitionspartner spuckt Gift und Galle - schließlich fordert Die Linke eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze. Aber ist Sarrazin tatsächlich ein gnadenloser Zyniker, wie es Die Linke behauptet? Im Gegenteil, er ist Realist.
Schließlich hat der Senator nur getan, was man sich von allen Politikern regelmäßiger wünschen würde. Er hat die Auswirkungen der Politik auf die Bürger überprüft. Das Ergebnis kann sich auf den ersten Blick sehen lassen: zum Frühstück drei Vollkorntoast mit Wurst und Käse, Kaffee und Saft. Dazu eine Mandarine. Eine Bratwurst am Mittag, dazu Kartoffelbrei aus der Tüte. Als Abendmahl zwei belegte Brote, Quark und Tee. Alles zusammen gibt es laut Sarrazin für schlappe 3,76 Euro - beim Discounter, wohlgemerkt. Mal abgesehen davon, dass man noch etwas Geld für Strom und Gas brauchte, um die Wurst zu braten. Oder für die Zeitung, um die Annoncen mit den Sonderangeboten zu finden. Sarrazins Rechnung zeigt: Zum Sterben ist Hartz IV zu viel. Aber reicht es auch zum Leben?
Der von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) entwickelte Einkaufszettel für Hartz-IV-Empfänger hat breite Empörung bei der Linken und bei den Wohlfahrtsverbänden ausgelöst. Sarrazin hatte seine Verwaltung exemplarisch ausrechnen lassen, dass sich ein Erwachsener auch mit dem Hartz-IV-Regelsatz von 4,25 Euro täglich ausreichend und gesund ernähren könne. Der Vorsitzende des SPD-Koalitionspartners Linke, Klaus Lederer, griff Sarrazin am Montag scharf an. Lederer warf dem Senator "ein Maß an Borniertheit und Zynismus" vor, "das ihn für eine ernsthafte politische Debatte über die Angemessenheit der ALG-II-Regelsätze schlicht disqualifiziert".
Vor dem Hintergrund der aktuellen Armutsdebatte wollte Sarrazin zeigen, dass man sich mit wenig Geld ausreichend ernähren könne. Der Senator wollte der Forderung der Linken vorbeugen, die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen. Ein Vorschlag Sarrazins für ein Mittagessen in seinen exemplarischen Rechenbeispielen listet auf: "1 Bratwurst (0,38 Euro), Kartoffelbrei (0,25 Euro), 150 Gramm Sauerkraut (0,12 Euro), Gewürze/Öl (0,20 Euro)."
Dazu erklärte Lederer: "Menschenwürde ist mehr als Bratwurst und Sauerkraut." Die Linke bleibe deshalb bei ihrer Forderung, die Regelsätze zu erhöhen. Ähnlich äußerte sich Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke). "Ich finde es nicht gut, wenn gut bezahlte Menschen wie wir armen Menschen vorschlagen, wie sie einkaufen sollen", sagte Knake-Werner. Armut bedeute mehr, als nicht genügend Geld zu haben. Das sei vor allem der Mangel an Chancengleichheit und gesellschaftlicher wie kultureller Teilhabe.
Ein Sparsenator muss das lauthals bejahen. Dem reicht es ja auch, dass Schulgebäude noch stehen, selbst wenn der Putz von den Wänden fällt. Dass die Unis noch Studienplätze anbieten, obwohl die kein Normalabiturient mehr bekommt. Dass es überhaupt noch Bibliotheken in der Stadt gibt, auch wenn sie von den Bezirken nach und nach geschlossen werden.
Jeder Nichtsparsenator aber erkennt: Leben ist mehr als Dosenfraß aus dem Billigsupermarkt. Die Linke darf sich folglich beim Finanzsenator bedanken. Es gibt kein besseres Argument für einen Erhöhung der Regelsätze als Sarrazins trostloses Menü.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen