Kommentar: Mauerbau ist out
Das Gedenken an die Mauer fällt schwer, zumal es nur wenige Mauerreste gibt. Ein neuer Mauerbau ist die falsche Form des Gedenkens. Mut zur Lücke ist angesagt.
Berlin hat eine schwierige Vergangenheit. Die Mauer, die die Stadt 28 Jahre lang geteilt hat, ist nur ein Beispiel dafür. Die Erinnerung an diese Zeit, das wird mit wachsendem Abstand immer deutlicher, fällt schwer. Auch weil sie nur wenige sichtbare Spuren hinterlassen hat. Daher ist es gut und wichtig, dass um das richtige Gedenken mit aller Inbrunst gestritten wird. Doch bei der Diskussion sollte eins klar sein: Mauerbau ist absolut out - selbst wenn es wie jetzt an der Gedenkstätte Bernauer Straße nur um eine Rekonstruktion auf 20 Metern Länge geht.
Aus heutiger Sicht ist es selbstverständlich sehr bedauerlich, dass die Mauer kurz nach der Wende nahezu komplett abgerissen wurde. Das Gefühl der Teilung ist kaum nachvollziehbar. Wer die Mauer noch im Kopf präsent hat, weiß, wie schwierig es ist, heutigen Besuchern des Grenzstreifens die Situation vor 1989 verständlich zu machen. Denn wer die Mauer nie aus eigener Anschauung erlebt hat, kann sich kein Bild machen.
Doch auch das Fehlen des authentischen Grenzwalls ist das Ergebnis deutscher Geschichte. Es entspricht dem Willen einer überwältigenden Mehrheit unmittelbar nach der Wende. Die heutige Situation an der Bernauer Straße dokumentiert in hervorragender Weise diese zwei Geschichtsetappen. Die offizielle Gedenkstätte mit einem aseptisch rekonstruierten, in Stahl gefassten Stück des Todesstreifens ist ein Mahnmal für die Zeit von 1961 bis 1989. Die gammelig wirkenden Mauerreste direkt daneben aber sind ein Fest. Die Spuren der Mauerspechte und die Lücken, die die Sophien-Gemeinde reißen ließ, feiern den Willen, die wiedergewonnene Freiheit sinnlich zu erleben.
Wer diese Lücken wieder schließen will, hat von deutscher Geschichte nichts verstanden.
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