Kommentar: Militärische Lösung
■ Die mexikanische Regierung will keinen Frieden in Chiapas
Das Vorgehen der mexikanischen Armee gegen die zapatistischen Gemeinden in Chiapas ist eine Eskalation mit Ansage. Die Regierung unter Präsident Zedillo hat die Zapatistas und die Öffentlichkeit seit Jahren hinters Licht geführt. Tatsächlich wollte sie den konstruktiven Friedensprozeß nie. Als es mit dem Abkommen über indigene Rechte 1996 Ernst wurde, weigerte sich die Regierung, es auch zu ratifizieren. Alle Aufrufe, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren, blieben Makulatur – reiner Zeitgewinn, um die „militärische Lösung“ vorzubereiten. Der Rauswurf und die Verleumdung internationaler Beobachter in den letzten Monaten und schließlich Bischof Ruiz' Rücktritt vom Vorsitz der Vermittlerkommission Conai in dieser Woche nahmen symbolisch vorweg, was die Bundesarmee jetzt umsetzt: Das Räuber-und-Gendarm-Spiel ist vorbei, jetzt geht der Staat daran, den zapatistischen Strukturen den Garaus zu machen.
Die Guerilla ist in der Defensive und weiß nicht, was sie tun soll. Es ist kein Zufall, daß Subcomandante Marcos seit Monaten schweigt. Das militärische Potential der EZLN (Zapatisten) reicht für den Schutz ihrer Gemeinden nicht aus. Die Guerilla hat, obwohl bewaffnete politische Kraft, den militärischen Konflikt nie für einen gangbaren Weg gehalten, nie die Machtübernahme per Waffengewalt angestrebt. Die EZLN hat in der liberalen städtischen Mittelschicht vielmehr eine Dynamik in Gang gesetzt, die das Land demokratisieren und die monolithische Einparteienherrschaft der PRI überwinden will. Das hat bereits Früchte getragen – in der Hauptstadt, wo mit Cauhtémoc Cárdenas ein linker Oppositioneller zum Bürgermeister gewählt wurde, in Wahlrechtsreformen und Demonstrationen der Zivilgesellschaft, die die Säulen der PRI-Herrschaft nach und nach beschädigt haben.
Die Zapatistas haben etwas angestoßen, wovon sie selbst nun am wenigsten profitieren. Der Süden Mexikos hat sich im gewalttätigen Konflikt verschiedenster widerstreitender Kräfte wieder weit von der politischen Konjunktur des übrigen Landes entfernt. Noch vor vier Jahren wäre ein militärisches Vorgehen der Armee in Chiapas politischer Selbstmord der Regierung gewesen. Das ist vorbei. Die alte Herrschaft hat in Chiapas gewonnen. Die Soldaten werden diesen Sieg jetzt durchsetzen. Dorf für Dorf, koste es, was es wolle. Bernd Pickert Bericht Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen