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KommentarKlammern an jeden Strohhalm

■ Provinzposse um Vergnügungspark

Die Tivoli-Offerte, in Berlin einen Vergnügungspark zu bauen, erinnert ein wenig an das Gebaren der windigen Investoren, die nach dem Fall der Mauer den Osten Deutschlands unsicher machten. Sie brauchten nur selbstsicher genug aufzutreten und Großes zu versprechen, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum vor allem – und schon waren die arglosen Gemeinderäte Feuer und Flamme.

Doch nicht nur Provinzpolitiker zwischen Vogtland und Vorpommern waren für hehre Versprechungen anfällig. Auch die Politiker der werdenden Hauptstadt Berlin ließen sich in den vergangenen zehn Jahren sofort begeistern, wenn substanzlose Großprojekte dem angekratzten hauptstädtischen Selbstbewußtsein auf die Beine helfen sollten. Olympische Spiele im Jahr 2000, Wiederaufbau des Preußenschlosses, Hochhäuser am Alexanderplatz, ein Internationales Handelszentrum an ebenjenem Gleisdreieck, wo sich die Tivoli-Manager nun einen Vergnügungspark hindenken – die Projekte mußten nur groß genug sein, um den Verantwortlichen jeden kühlen Verstand zu rauben. Und der größere Teil der Lokalpresse jubelt berlintümelnd mit. Letztlich ist auch das Chaos um den neuen Intendanten fürs Deutsche Theater eine Variante dieses Syndroms.

Einerseits von großen Namen betäubt, andererseits von jedem Verhandlungsgeschick verlassen, wurden die Erwartungen zunächst hochgeschraubt, um sie anschließend zu enttäuschen. Bei allem Gerede vom „Nationaltheater“ – auch in München oder Stuttgart läßt sich Theater machen, vielleicht sogar besser als in Berlin. Dem künftigen DT-Chef Bernd Wilms vorzuwerfen, daß er einst als Intendant in Ulm amtierte – das ist nicht sonderlich intelligent, sondern bloß überheblich.

Eigentlich hätte man glauben sollen, daß Berlin im Jahr des Regierungsumzugs endlich erwachsen wird. Doch auf der verzweifelten Suche nach dem Wirtschaftsaufschwung klammern sich die hauptstädtischen Politiker weiter an jeden Strohhalm. Zur Not auch an einen Vergnügungspark, für den es weder einen passenden Standort noch einen potenten Investor, noch ein zahlungswilliges Publikum gibt. Ralph Bollmann

Bericht Seite 21

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