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■ KommentarStarker Arm — nutzlos

Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still, reimte man einst das Lob des kämpfenden Proleten. Den starken Arm braucht es in Berlin derzeit nicht: viel zu vieles in der Metall- und Elektroindustrie steht bereits still, weil stillgelegt. Seit der Vereinigung hat sich die Hoffnung, Berlin könnte erneut zur größten Industriestadt Deutschlands werden, nicht bestätigt. Im Gegenteil: In Ost-Berlin sind inzwischen zwei Drittel der einst 150.000 Metall-Arbeitsplätze vernichtet, und auch im Westteil der Stadt kommt man nicht voran. Der Ursachen sind viele: der Abbau der Berlin-Förderung läßt Subventionsabsahner mit flacher Produktion verschwinden, die Betriebe im Ostteil sind mit der Treuhand und den fehlenden osteuropäischen Märkten geschlagen. Hinzu kommt ein technologischer Umbruch in Richtung hochqualifizierter Dienstleistungen. Die Probleme der Berliner Kabelindustrie sind deswegen nur ein Ausschnitt in diesem Prozeß.

Den Verlust von veralteten, wenig zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen mag man für akzeptabel halten — insbesondere wenn man die teilweise verheerende Öko-Bilanz der Betriebe in Ost-Berlin berücksichtigt. Doch für die IG Metall stellt sich die Frage anders. Konfrontiert mit den berechtigten Sorgen der Belegschaften um Arbeitsplatz und Verdienst, muß die Gewerkschaft um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Schließlich schlägt auch der IG-Metall-Führung aus Ost-Berlin immer mehr Unmut von Betriebsräten und Gewerkschaftern entgegen: Sie verteidige vor allem den Besitzstand der West-Kollegen, heißt der Vorwurf. Die Metall-Führung versucht deshalb einen Spagat durchzuhalten, von dem sie nicht sicher sein kann, ob er am Ende nicht doch schiefgehen wird. Doch auch viele Ostberliner Gewerkschafter, die jetzt bereit sind, die eigene Sache in die Hand zu nehmen, werden erfahren müssen, daß der technologische Wandel auch vom starken Arm der Proleten nicht aufzuhalten ist. Gerd Nowakowski

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