■ Kommentar: Medienschelte
Das Fernsehen habe am Sonntag die Autonomen „in die erste Reihe gesetzt“, habe „ihnen den Schirm überlassen“, der SFB habe mehr „die linken Chaoten gezeigt als die friedlichen Berliner“. CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky, seine Kollegen von SPD und AL sowie Teile der Presse ergehen sich in Medienschelte. Die TV-Nachrichtenleute hätten in „rauschhafter Sucht nach hektischer Action“ die Großdemonstration „auf den Kopf“ gestellt. Diese Vorwürfe sind im Grunde nichts anderes als die Enttäuschung darüber, daß eine mediale Inszenierung der Politik an die Adresse des Auslandes durch eine zweite – ebenso absichtliche – mediale Inszenierung der Autonomen ausgehebelt werden konnte. Dabei war den zahlenmäßig unterlegenen Autonomen gar nichts anderes als medienwirksames Handeln übriggeblieben.
Daß das Fernsehen eher die unerwarteten Bilder zeigt, liegt in der Logik des Mediums und des Nachrichtenwesens. Warum sollte diese (durchaus kritikwürdige) Alltäglichkeit gerade an diesem „aufgeladenen“ Tag auf den Kopf gestellt werden? Aus Staatsräson? Weil Sonntag war und „Kaiserwetter“? Die Kameras waren live auf den Präsidenten gerichtet, weil eine Live-Manifestation geplant war. Und so kamen die Eier ebenso ins Bild wie die Polizeischilde (natürlich weniger die Knüppeleien). Wer diese „unschönen“ Bilder nicht hätte zeigen wollen, der hätte abschalten oder heftig zensieren müssen. Gigantisch aufgeblasen wurde die Aktion auf dem Niveau eines „Klassenstreichs“ erst durch die reflexhaft-hetzerischen und staatstreuen Kommentare der meisten Journalisten. Insbesondere einige Köpfe der öffentlich-rechtlichen Anstalten erledigten brav das Geschäft der Politik.
Angesichts der offenen Worte der Parteipolitiker, ihres Gierens nach einem Staatsfunk zwecks Übertragung einer Staatsdemo kann man nur dankbar sein, daß diese Regie nicht aufging. Die „Störer“ haben eine Inszenierung behindert. Landowsky und Co. haben ein gestörtes Verhältnis zur Informationsfreiheit. Hans-H. Kotte
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