■ Kommentar: Pfad der Erleuchtung
München, Lindau, Hamburg leuchteten bereits, am Wochenende gehen die Menschen in Hannover und im Ruhrgebiet auf die Straße, einen Tag vor Weihnachten in Frankfurt. Auch in Berlin sollen am 25. Dezember, dem ersten Weihnachtsfeiertag, um 18 Uhr auf der großen Ost-West-Achse Lichter gegen Rassismus und Gewalt leuchten, so wenigstens der Vorschlag diverser Medien, darunter die taz. Konterkariert wird diese Idee jedoch durch den Vorschlag anderer Zeitungen, nur ein Licht im Fenster leuchten zu lassen, „stumm, aber eindringlich“.
Das reicht nicht. Ein erleuchtetes Fenster bleibt in den neunziger Jahren privat, allemal zu Weihnachten. Eine Kerze an einem Ku'dammfenster gibt einem Marzahner nicht das Gefühl, mit anderen solidarisch eine gemeinsame Sache zu vertreten. Die private Sorge muß öffentlich werden, und wenn sie öffentlich sein soll, dann muß man es sehen. Eine Kerze im Fenster ist bequem. Es geht aber genau darum, diese Bequemlichkeit zu überwinden, eigenes Engagement zu zeigen und nicht auf dem Sofa sitzen zu bleiben. Zeichen zu setzen muß geübt, Zivilcourage gelernt werden. Gestern eine Demonstration, heute eine Lichterkette – sicher, alles Kleinigkeiten–, aber morgen traue man sich vielleicht einzugreifen, wenn wieder einmal ein Mensch in der U-Bahn angepöbelt wird oder gar niedergestochen werden soll. Der Mut, die Gewalt zu stoppen, kann sich aus der Gewißheit speisen, nicht alleine zu sein, denn dies hat man selbst gesehen.
Es ist furchtbar einfach, Einwände gegen eine Lichterkette zu erheben. Die Idee, daß alle BerlinerInnen eine Patenschaft für die Fremden übernehmen und zum Auftakt ihre neuen Freunde zum Weihnachtsessen einladen, wäre allemal wirksamer als alle Lichterketten in ganz Deutschland zusammen. Aber so wird nicht argumentiert. Statt dessen fällt das böse Wort von der „Nachahmung“. Manche äußern auch die Sorge, daß Berlin sich in Grund und Boden blamiere, wenn nur wenige kommen sollten. Es ist an der Zeit, diese Berlin-Egozentrik fallenzulassen. Berlin ist nicht der Nabel der Welt und macht sich nicht lächerlich, wenn es nicht die größte und schönste Lichterkette hat. Es geht nicht darum, bei einer Art Städtemarathon mitzumachen. Das Klima in Berlin ist härter und unsentimentaler. Aber sind deswegen Kerzen gegen den Haß am ersten Weihnachtstag ein „religiöser Entlastungsversuch“? Und wenn schon? Besser als am Weihnachtsbaum. Anita Kugler
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