■ Kommentar: Neue Unübersichtlichkeit
Hat die neue Unübersichtlichkeit jetzt den Senat erreicht? CDU- Abgeordnete stellen sich gegen die Verkehrspolitik ihres Senators, im Gegenzug will Bausenator Nagel erzwingen, daß die Bezirke entgegen der SPD-Position die Busspuren einschränken. Am Montag, am Tag vor der Abstimmung im Senat, betonte die SPD-Fraktion noch, ihre Senatoren würden sich dem von der CDU befürworteten Investitionsbeschleunigungsgesetz verweigern. Nach dem vereinbarten Koalitionsritus hätte sich dann Berlin im Bundesrat der Stimme zu enthalten. Tags darauf war alles anders bei den Sozis: Bausenator Nagel stimmte zu, Finanzsenator Meisner hatte zwar Bauchschmerzen, konnte sich aber nicht zur Ablehnung entschließen. Gegen das Gesetz argumentierte einzig Stadtentwicklungs- und Umweltsenator Hassemer. Der aber ist von der CDU.
Nun ist es nicht das erste Mal, daß bei weitreichenden Vorhaben der Bundesregierung, die im Bundesrat von den Ländern bestätigt werden müssen, die Sozialdemokraten entgegen der Erwartungen ihrer Klientel entscheiden. Man erinnert sich an die augenzwinkernde Kumpanei beim Straßenbau-Beschleunigungsgesetz, das von der SPD schärfstens abgelehnt wurde. Damals trickste sich die Große Koalition aus der Klemme mit dem Verweis auf das Brandenburger Interesse an der Verabschiedung des Krause-Plans. Die Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung sollte dann aus einem Mißverständnis zwischen Diepgen und seinem Finanzsenator Meisner resultiert sein; der Regierende glaubte, Meißner hätte ein Ja signalisiert, was aber natürlich so nicht war.
Unerklärlich ist der SPD-Umfall natürlich nicht. Bausenator Nagel fühlt mit den Bauinvestoren, und auch Meisner weiß, was Unternehmer lieben. Hassemer hingegen kann absehen, daß mit dem Beschleunigungsgesetz sein Ressort demontiert wird. Denn das Gesetz zielt vor allem auf die Demontage von Umweltschutzbelangen und Bürgerbeteiligung, um schneller die Betonmischer rattern lassen zu können. Das ist zwar falsch, weil in der Vergangenheit vor allem die schlampige, unzureichende und fehlerhafte Arbeit von Verwaltungen und Investoren für Verzögerungen sorgte. Bürgerbeteiligung hat die Projekte jeweils erst nachbessern müssen – gar Verfahren beschleunigt, weil die Fehler ansonsten in jahrelangen Verfahren vor Gericht hätten geklärt werden müssen. Im Senat blieb dies jedoch unberücksichtigt, obwohl doch Berlin in den nächsten Jahren zur größten Baugrube Europas wird. Die Verabschiedung des Investitionsbeschleunigungsgesetzes wird deswegen ungezählte Klagen provozieren. Der Bau-Stau ist unvermeidlich, auch wenn es künftig nur noch eine juristische Instanz geben wird. Aber möglicherweise gehört zur neuen Unübersichtlichkeit, daß die SPD genau dies beabsichtigt? Gerd Nowakowski
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