■ Kommentar: Was nun, Heide?!
Heide Simonis, die Kodderschnauze mit Hut, hat gestern mächtig eins auf die Mütze bekommen. Die flotte Alleinherrscherin, die ihrem Ärger über Männerdummheiten so herrlich freien Lauf lassen kann – vom Transrapid-Schwachsinn über den Aussiedler-Blödsinn bis zu den Sandkastenkids Schröder und Lafontaine –, muß das Wählerurteil erstmal verdauen. Sie findet es schlicht „ungerecht“.
Und tatsächlich: Für einen Gutteil des Blödsinns, den Wahlforscher, Leitartikler und Parteistrategen zuletzt verbraten haben, kann sie nichts: Ökologie sei out, hieß es da, nur noch die Arbeitsplätze zählten. Oder: Die Rechtsradikalen seien weg vom Fenster – die SPD müsse ihnen mit Anti-Euro und Anti-Aussiedler eine Neue Heimat bieten. Und schließlich: Der Trend zu den Kleinparteien sei vorbei – die alten Volksparteien wären wieder obenauf.
Alles falsch, wie die WählerInnen von Ravensburg über Koblenz bis Flensburg gestern zeigten. Tatsächlich hat die wackere Heide nicht selten dagegengehalten.
Bei all ihrer berechtigten Selbstgerechtigkeit übersieht die Genossin im Norden jedoch nur allzu gern, daß gerade auch sie einen Gutteil jener Polit- und SPD-Krankheiten verkörpert, die das Bild des rostroten Tankers von Düsseldorf bis Kiel verdüstern: Wählerverachtung, ein oberlehrerhaftes Verhältnis zu den Grünen, Unfähigkeit zur Teamarbeit, das Grundgefühl, wenn es politische Gerechtigkeit gäbe, müßten die Sozis ein Dauerabonnement der absoluten Mehrheit bekommen.
Wenn es Heide Simonis in den kommenden Wochen nicht gelingt, dieses Sammelsurium falscher Grundeinstellungen abzulegen, sind ein Mißerfolg von Rot-Grün oder die neue Peinlichkeit einer sozialliberalen Nordkrücke programmiert: Dohnanyi, Voscherau, Clement, Matthiesen, Momper und die Bremer Genossen lassen grüßen. Florian Marten
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