■ Kommentar: Bildungsurlaub – ein Luxus?
Den Arbeitgebern war das Recht auf Bildungsurlaub von jeher ein Dorn im Auge. Von dem direkten oder indirekten Druck im Betrieb bis zu massenhaften Klagen vor Arbeitsgerichten vor allem in NRW und vor dem Bundesverfassungsgericht gingen die Versuche der Arbeitgeber, dieses Recht zu torpedieren.
Auch nachdem das Bundesverfassungsgericht 1987 das Recht auf Bildungsurlaub als verfassungsgemäß beurteilt hatte, hörte der Widerstand der Arbeitgeber und ihrer Anhänger in den Betrieben und in der Öffentlichkeit nicht auf. So polemisierte Wolfgang Grüger, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, vor nicht allzu langer Zeit, es sei ausgesprochen unsozial, wenn die „Besitzer von Arbeitsplätzen vom Arbeitgeber jedes Jahr einen einwöchigen Bildungsurlaub“ bezahlt bekämen. Und das Handelsblatt – seinem Ruf treu bleibend – zählte in diesem Jahr den Bildungsurlaub zu den Luxusvorschriften des deutschen Arbeitsrechts.
Wie heuchlerisch diese Argumente sind und welche Bedeutung die Arbeitgeber der Bildung wirklich zumessen, zeigen zwei Untersuchungsergebnisse. Das Bundesinstitut für Berufsbildung stellte fest, daß 82 Prozent der Unternehmen betriebliche Weiterbildung anbieten. Nach einer Erhebung des Deutschen Instituts der Wirtschaft gaben die Arbeitgeber in der Bundesrepublik 1992 für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter 36,5 Milliarden Mark aus. Dagegen betrugen nach Schätzungen von F.J. Düwell, Richter am Bundesarbeitsgericht, die Weiterbildungsausgaben für den Bildungsurlaub nur ein Hundertstel dieser Summe. Tatsache ist, daß die Unternehmen in Deutschland immer mehr auf eine qualifizierte Belegschaft angewiesen sind. Unternehmerische Konzepte wie Qualitätsmanagement oder Lean Production und die damit teilweise verbundene Förderung und Delegation von Kompetenz und Verantwortung erfordern permanente Weiterbildung und Qualifizierung der ArbeitnehmerInnen.
Während die Arbeitgeber aber auf betriebliche, vor allem arbeitsplatzbezogene Formen der Weiterbildung setzen, eröffnet der Bildungsurlaub ArbeitnehmerInnen ein erweitertes Spektrum der Weiterbildung. Sie sollen sich dadurch auch die erforderlichen Kenntnisse für die Teilnahme an betrieblichen und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen verschaffen oder sich allgemein beruflich weiterqualifizieren. Bildungsurlaub bietet dabei auch die Chance, schulische und berufliche Ungleichheiten abzubauen. Deshalb darf sich Weiterbildung nicht an kurzfristigen betrieblichen Bedürfnissen orientieren, sondern muß als individuelles Recht der ArbeitnehmerInnen verwirklicht werden.
Bildungsurlaub hat nichts mit schulischem Pauken zu tun. Bildungsarbeit für und mit Jugendlichen und Erwachsenen soll selbständiges Arbeiten und Lernen ermöglichen und auch Spaß machen. Daß dies vielen Arbeitgebern nicht paßt, zeigt, daß in der Öffentlichkeit immer wieder auf das „böse Beispiel“ des Ökologieseminars im Wattenmeer verwiesen und suggeriert wird, hier ginge es darum, eine zusätzliche Woche Urlaub zu ergattern. Abgesehen davon, daß dieses ein eher untypisches Seminar aus Hunderten von Bildungsurlaubsangeboten ist, wissen Manager längst, daß erlebnisorientierte oder z.B. kreativitätsfördernde Elemente ein wichtiger Bestandteil von Weiterbildung sind und zum normalen Repertoire ihrer persönlichen Weiterbildung gehören. Warum soll dieses nicht in gleichem Maße für ArbeitnehmerInnen zutreffen? Wolfgang Hansmeier
Der Autor ist Geschäftsführer von „Arbeit und Leben e.V.“/Berlin
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