■ Kommentar: Den Bogen überspannt
Noch am Samstag, auf dem CDU-Parteitag, war Innensenator Jörg Schönbohm der Beifall sicher. Die Eskalation durch die Chaoten, so Schönbohm, habe mit dem Brandanschlag auf eine Straßenbahn eine neue Qualität erreicht. Nun müsse der Druck auf die linksradikale Besetzerszene noch verstärkt werden.
Doch die, denen diese Drohung als unmißverständliche Warnung galt, ließen sich nicht einschüchtern. Über 3.000 Personen kamen gestern zur Demo gegen den Räumungswahn des Innensenators. Damit hatten nicht einmal die Veranstalter gerechnet. Die Demo hat damit zumindest deutlich gemacht, daß der Innensenator den Bogen überspannt hat. Ein Haus zu räumen, dessen Verkaufsverhandlungen kurz vor dem Abschluß stehen, zeugt von einem ebenso zynischen Verhältnis zum Rechtsstaat wie der Abtransport von 21 Personen zum „Anschlußgewahrsam“ nach Oranienburg am Donnerstag.
Daß der Wille zu einer politischen Lösung für die letzten besetzten Häuser vorhanden ist, daran lassen weder die Friedrichshainer Bezirksverordneten noch die Besetzer selbst Zweifel aufkommen. Die politische Verantwortung für die Eskalation vom Wochenende trägt deshalb einzig und allein der Innensenator. Wer nun, im Wissen um die angespannte Situation, weiter das Streichholz an die Lunte hält, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Schuß nach hinten losgeht: Statt sich als propere Hauptstadt zu präsentieren, wäre Berlin seit langem wieder einmal als Chaotenhochburg in den Schlagzeilen. Uwe Rada
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