■ Kommentar: Keine Ahnung
Na klar. Alle, die in Hamburg von Sucht keine Ahnung haben, reihen sich ein in den Chor der Neunmalklugen und feiern die neueste Kampagne des Büros für Suchtprävention. Alle, die von Sucht keine Ahnung haben? Genau, das sind nämlich alle: Berater, Therapeuten, Suchtpräventionskräfte, Suchtforscher und Suchtpolitiker.
Keiner von denen – und auch kein anderer – weiß, wie Sucht entsteht und wie Sucht vergeht. Sie wissen nicht einmal, ob sie das Phänomen Sucht oder Abhängigkeit nennen sollen. Es gibt keine allgemeine Suchttheorie, keine gesicherten Erkenntnisse. Es gibt dafür eine Vielzahl miteinander konkurrierender Erklärungen. So hat allein die Psychoanalyse deren drei zu bieten. Etwa 242 weitere Therapierichtungen glauben auch, eine Antwort zu haben.
Seit Jahrzehnten wird von allen Beteiligten – die Süchtigen mal ausgenommen – mehr desselben gefordert: Mehr Beratungsstellen, mehr Therapieeinrichtungen, mehr Geld für Selbsthilfeorganisationen. Und seit ein paar Jahren ist es zudem angesagt, mehr Geld für Prävention zu fordern. Das quantifizierbare Ergebnis: Die Zahl der statistisch erfaßten Süchtigen nimmt zu. Irgendwas kann da nicht stimmen. Man kann doch nicht einfach beliebig herumdoktern, wenn keiner weiß, was es zu kurieren gilt.
Also. Keine Antwort auf die große Rätselfrage „Sucht“, aber ein Vorschlag: Spart das Geld für Suchtprävention. Gebt es in die klassische Sozialpolitik und laßt ein paar Mark über. Für die Suchtforschung – damit wir irgendwann alle zusammen mehr Ahnung haben.
Jürgen Oetting
Siehe dazu Seite 22
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