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KommentarZur Nachahmung empfohlen

■ Frankreich: Arbeitslose rebellieren gegen ihre Ausgrenzung

Ein neuer politischer Akteur ist in Frankreich geboren: die Arbeitslosen. Gestern, als sie bereits 30 Arbeitsämter im ganzen Lande besetzt hatten, blieb Premierminister Lionel Jospin nichts anderes mehr übrig, als persönlich mit ihnen zu sprechen. Zusammen mit Arbeitsministerin Martine Aubry, die die Arbeitslosenbewegung kürzlich „illegal“ und „illegitim“ geschimpft hatte, empfing er die Arbeitslosen – direkt nach den „klassischen“ Sozialpartnern Arbeitgeber und Gewerkschaften.

Damit haben die revoltierenden Arbeitslosen, mit denen niemand im politischen und intellektuellen Establishment des Landes gerechnet hatte, einen ersten großen Erfolg erzielt. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sprechen jetzt in eigener Sache, ohne zwischengeschaltete Gewerkschaftsfunktionäre. Das allein ist schon ein gigantischer politischer Schritt. Schließlich wird Arbeitslosigkeit in einer Gesellschaft, die den Wert des Menschen an seiner Berufstätigkeit mißt, als persönliches Versagen verstanden. Und der Wirtschaft ist es nur recht, eine unterwürfige Masse von miserabel unterstützten und isoliert leidenden Arbeitslosen zu haben, deren bloße Existenz die Löhne drückt.

Die Protestierenden haben der rot-rosa- linken Regierung gezeigt, daß die Misere der Arbeitslosigkeit nicht mit ein paar hunderttausend zeitlich begrenzter „kleiner Jobs“ und einer zaghaften Arbeitszeitreduzierung auf die 35-Stunden-Woche zu bewältigen ist. Und sie haben die Gewerkschaften daran erinnert, daß die Nichtvertretung der Interessen von Arbeitslosen ihren eigenen Interessen zuwiderläuft.

An dem Ist-Zustand der Massenarbeitslosigkeit in EU-Europa ändert sich dadurch zunächst nichts. Auch die Forderung eines garantierten Mindesteinkommens, wie sie manche französische Arbeitslosengruppen erheben, ist noch lange nicht durchgesetzt. Aber kurz vor dem Eintritt in das Europa der gemeinsamen Währung macht die französische Arbeitslosenbewegung deutlich, daß es jenseits der neuen Wachstumsraten, von denen die Wirtschaftsminister schwärmen, noch eine andere europäische Realität gibt. Daß es ein Fehler war, sie mit keinem Euro-Kriterium zu berücksichtigen. Und daß es deswegen vielleicht bald auch anderswo ein Coming-out von Arbeitslosen geben wird. Dorothea Hahn

Bericht Seite 4

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