Kommentar: Ein bitterer Geschmack bleibt
■ Gregor Gysi wird die Stasi-Vorwürfe aussitzen
Sieben Jahre wurde der Fall Gysi untersucht, letzte Gewißheit über seine Stasi- Tätigkeit wird allerdings erst gegeben sein, wenn das Bundesverfassungsgericht dem Immunitätsausschuß eine saubere Arbeitsweise bescheinigt. Doch auch dann, soviel kann man absehen, werden die Ansichten über den Anwalt und Politiker Gysi auseinanderdriften.
Es brauchte nicht die akribische Recherche des Immunitätsausschusses, um Gysis Nähe zu den Mächtigen der DDR politisch würdigen zu können. Hatte er doch selbst aus diesen Beziehungen nie einen Hehl gemacht und sie zu seiner Entlastung angeführt. Warum soll die Zusammenarbeit mit dem ZK weniger verwerflich sein als die mit der Stasi? Beide sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Gysi hätte schon vor Jahren seine frühere Rolle als Teil eines perfiden Machtmechanismus offenlegen können, der sich einer klaren Scheidung in Gut und Böse versperrt. Statt dessen leugnete er eine Stasi- Tätigkeit und versteifte sich auf das Klischee eines nur zum Besten seiner Mandanten tätigen Anwalts. Es ist diese Vereinnahmung der oppositionellen Opfer in das Gysische Selbstbild, die den Fall so unappetitlich macht.
Die Feststellung des Immunitätsausschusses dürfte vor allem für die PDS Bedeutung haben. Denn sie hatte die Offenheit in Stasi-Angelegenheiten zum Lackmustest ihrer Vergangenheitsbewältigung erhoben. Diesem Reinheitsgebot genügt Gysi nach den Erkenntnissen des Ausschusses nicht. Doch wird ihm das Schicksal der Adolphies und Bries erspart bleiben, die um des öffentlichen Ansehens willen zumindest zeitweise geopfert wurden. Denn der erforderliche Grad der Reinheit war von Anfang an umstritten – was öffentlich diskreditiert war, wurde intern ganz anders gewürdigt. So wird auch der Ausschußbericht, selbst wenn ihn das Verfassungsgericht bestätigt, als gegnerische Propaganda abgetan werden, denn Gysi ist noch immer unersetzbar für das politische Überleben der PDS.
Und neun Jahre nach der Wende verblaßt die Vergangenheit, die meisten Wunden der DDR sind vernarbt, nur noch wenige wollen daran rühren. Dieser letzte große Konflikt um die Stasi-Tätigkeit eines Politikers wurde und wird erfolgreich ausgesessen. Zumindest in Fragen der politischen Kultur ist, so scheint es, die deutsche Einheit schon weit fortgeschritten.
Dieter Rulff Inland Seite 6
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