piwik no script img

KommentarGewinn an Unabhängigkeit

■ Boris Jelzin muß das Gesetz zur Beutekunst unterzeichnen

Präsident Boris Jelzin muß das Gesetz über die Beutekunst unterzeichnen. Das russische Verfassungsgericht verfügte gestern, der Kreml-Chef habe sich mit seiner Weigerung, den zweimal von der Duma angenommenen Entwurf anzuerkennen, gegen geltendes Recht gestellt.

Für die Abwicklung der leidigen Beutekunstaffäre bedeutet das einen Rückschlag. Er war zu erwarten, da Rußland die Trophäenkunst noch immer aus der Perspektive der Frontkämpfergeneration betrachtet. Rechtliche Erwägungen treten deshalb in den Hintergrund. Erst die nächsten Generationen werden so frei von Ressentiments sein, um das Problem im Interesse beider Seiten zu regulieren. Das Vernünftigste wäre daher ein Moratorium, vorausgesetzt, man könnte sicher sein, in der Zwischenzeit ginge nicht noch mehr verschütt.

Unterdessen hat das Verfassungsgericht Unabhängigkeit bewiesen. Die russische Verfassung ist dem Präsidenten auf den Leib geschneidert und stattet ihn mit Vollmachten aus, wie sie sonst kein anderer Staatschef eines demokratischen Landes besitzt. Nun hat die Judikative, der oftmals nicht zu Unrecht vorgeworfen wird, nur ein verlängerter Arm der Exekutive zu sein, es gewagt, dem Präsidenten zu widersprechen. Einerseits belegt dies den langsam greifenden Erfolg beim Aufbau demokratischer Institutionen und verzögert darüber hinaus – dies die pragmatische Seite – die endgültige Entscheidung über die Kunst. Denn auch Jelzin gefällt sich nicht in der Rolle des Anwalts der Deutschen, wie ihn nationalgesinnte Kräfte verunglimpfen.

Wie weit sich das Verfassungsgericht indes tatsächlich in eine unabhängige dritte Gewalt verwandelt hat, die Recht vor Gewohnheitsrecht und öffentlichem Diktat erhebt, wird sich erst zeigen, wenn der Präsident die inhaltliche Seite des fraglichen Gesetzes zum Gegenstand der Auseinandersetzungen macht. Wenn das höchste Gericht darüber zu befinden hat, ob internationale Abkommen, wie es die Verfassung des Landes vorsieht, auch im vorliegenden mit Emotionen belasteten Fall Gültigkeit besitzen. Bis zu dieser Klärung verstreicht noch einige Zeit. Im Interesse Rußlands sollte Bonn Moskau die auch zugestehen. Was nützen restituierte Kunstgegenstände schließlich, wenn sie nicht aus freien Stücken herausgegeben wurden? Klaus-Helge Donath

Bericht und Interview Seite 2

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen