Kommentar: CDU total blockiert
■ Helmut Kohl hat seine Partei in eine bedrohliche Lage gebracht
Zu spät. Beim letzten CDU-Parteitag, vielleicht sogar noch nach den Landtagswahlen in Niedersachsen hätte Helmut Kohl die Chance gehabt, einen würdigen Abgang in eigener Regie zu vollziehen. Nun steht fest, daß die Geschichtsbücher dem Bundeskanzler bescheinigen werden, sich allzu lange an der schwindenden Macht festgeklammert zu haben. Wenn alternde Menschen sich nicht vom Amt trennen können, dann haftet dem stets ein Hauch persönlicher Tragik an. Der endgültige Rückzug aus dem öffentlichen Leben ist auch ein Memento mori, eine unerbittliche Erinnerung an die Endlichkeit des eigenen Daseins. Es ist verständlich und zugleich schrecklich zu beobachten, wenn einer diesen Schritt nicht vollziehen kann. Die Folgen tragen die Erben.
Die CDU wird es schwer haben in der Zeit nach Helmut Kohl, die bereits begonnen hat. Es dürfte heute in der Fraktionssitzung der Union ein Hauen und Stechen geben. Die Zahl der Abgeordneten, die um ihre Existenz bangen müssen, ist nach dem Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt auf Rekordhöhe emporgeschnellt.
Manche glauben, noch sei nicht alles verloren, wenn in letzter Minute Fraktionschef Wolfgang Schäuble aufs Schild gehoben wird. Sie irren sich. Der Kanzler hätte schon vor Monaten abdanken müssen. Jetzt zu gehen, nachdem die CDU rund ein Drittel ihrer Stimmen verloren hat, wäre ein offenes Eingeständnis des Scheiterns – nicht nur seiner Person, sondern seiner gesamten Partei. Diesen Ansehensverlust könnte Schäuble bis zu den Bundestagswahlen nicht mehr aufholen, zumal er durch den offenen Streit mit der Schwesterpartei CSU geschwächt ist. Er würde in den Sog der Verlierer hineingezogen.
So paradox es klingt: Wenn Kohl sich wirklich Schäuble als Nachfolger wünscht, dann darf er ihm gerade jetzt nicht das Feld räumen. Solange er als Repräsentant der Vergangenheit jedoch bleibt, so lange kann die Auseinandersetzung in der Union über den Kurs der Zukunft nicht offen geführt werden. Das muß alle mit Sorge erfüllen, nicht nur Anhänger der Union. CDU und CSU sind Volksparteien, die ein bestimmtes politisches Spektrum binden. Der Wahlerfolg der Rechtsextremen in Sachsen-Anhalt hat eindrucksvoll gezeigt, welche Folgen ein Vakuum in diesem Spektrum haben kann. Helmut Kohl hat nicht nur seine eigene Partei in eine bedrohliche Lage gebracht. Bettina Gaus
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