Kommentar: Sieg für Göte
■ Schleswig-Holstein: Das Volk entscheidet über die Rechtschreibung
Der erste Versuch zum Volksentscheid in Schleswig-Holstein klappte nicht. Da ging es um die Erhaltung des Buß- und Bettags. Nun hat das Volk sein Thema gefunden – die Rechtschreibung. Das Minimum an Unterschriften, um das Verfahren in Gang zu setzen, ist bereits übertroffen. Das Volk will entscheiden, aber es will auch nicht. Denn was läge näher, als daß es sich Spielräume gestattet, zum Beispiel neben „daß“ auch „dass“ und neben „Seeelefanten“ auch „Seelefanten“? Die bald schon zwei Jahre auf Hochtouren gefahrene Posse um die Rechtschreibreform schien zuletzt mit einem kollektiven Gewinn an Ironie und Kontingenz zu versanden. Selbst der strenge Konrad Adam von der FAZ begrüßte die „kleine Anarchie“ und erinnerte an Heimito von Doderer: „Ein Duden kommt mir nicht ins Haus!“
Aber wie immer der Volksentscheid nun ausgehen wird, das enge Orthographie-Korsett ist aufgeschnürt. Bei diesem Zivilisationsgewinn wird es bleiben. 30 Gerichte wurden bemüht, und siehe, alle entscheiden etwas anders. So hat der Streit der Rechtschreiber, Rechthaber und Rechtsprecher etwas nicht Beabsichtigtes bewirkt: Der Heiligenschein der einen Rechtschreibung ist dahin. Vor 100 Jahren verlangten Lehrer und Drucker nach eindeutiger Schreibweise und bekamen sie. Jetzt löst sich diese Eindeutigkeit wieder auf. Das Jahrhundert der Disziplin, der Stechuhr und des Rotstifts läuft aus. Das Leben wird spannender. Aber auch unsicherer. Das macht vielen angst. Rechtschreibung wird dabei zum Symbol, zumal die Deutschen symbolische Politik und Pseudopolitik mehr lieben als Politik, die ausgehandelt und erstritten werden muß.
Stellen wir uns also Schulen vor, in denen Lehrer begründen müssen, wenn sie die Schreibweise eines Wortes als falsch anstreichen. Nicht alles wird möglich, aber es muß plausibel sein. „So schreibt man das“, gilt nicht mehr. Dabei können sich Lehrer sogar auf Konrad Duden beziehen, der sagte: „Schreib, wie du sprichst!“ Und Schüler sollten sich diesmal wirklich Goethe zum Vorbild nehmen. Der schrieb sich auch mal als Göthe, jawohl, mit dem trivialen Umlaut statt des vornehmem „oe“. Oder auch Goete. Vielleicht am Ende sogar Göte? Da war er gar nicht zimperlich. Auch andere Wörter schrieb der Meister aus Weimar mal so und mal anders. Die Sprache ist kein Denkmal aus Stein. Reinhard Kahl
Bericht Seite 6
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