piwik no script img

KommentarDas Sankt-Florian-Prinzip

■ Atommüll: Bundesländer und Bürgerinitiativen stellen sich quer

Auch eine nette Vorstellung: Die Ministerpräsidenten Glogowski und Clement marschieren Arm in Arm mit den Anti- Castor-Demonstranten, flankiert und angefeuert von den Genossen der Gewerkschaft der Polizei, gegen Atommüll-Rücktransporte nach Gorleben oder Ahaus. Gemeinsam blockieren sie die Atompolitik der rot-grünen Bundesregierung – und mit ihr den Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung im Ausland. Eine große Koalition von Kirchturmpolitikern mobilisiert die Straße für eine neue, deutsch-nationale Entsorgungsvariante. Deutscher Strahlenmüll soll erst einmal bleiben, wo er ist, also in Frankreich und England. Aus den Augen, aus dem Sinn. Offenbar haben einige angesichts der neuen Bonner Machtverhältnisse den Überblick verloren.

Bisher jedenfalls war unstrittig, daß auch bei der Atommüllentsorgung das Verursacherprinzip zu gelten habe. Der Strahlenmüll aus deutschen AKWs, der bei der Wiederaufarbeitung in La Hague und Sellafield nur in eine andere Form verwandelt wird, kommt irgendwann zur Endlagerung nach Deutschland zurück. Eine schlichte Selbstverständlichkeit, die bis zur Bundestagswahl von Kohl bis Greenpeace niemand in Frage stellte.

Neu ist die Situation nur bezüglich jener bereits nach Frankreich und England verschobenen verbrauchten Brennelemente, die nun möglicherweise nicht mehr durch die Plutoniumfabriken geschleust werden. Über Form, Zeitpunkt und Zielort des Rücktransportes muß sich die Bundesregierung mit den Partnern im Ausland und den Stromversorgern daheim auseinandersetzen.

Da ist vieles denkbar, jenseits der Horrorvision von nun lawinenartig über uns hereinbrechenden Massentransporten. Zum Beispiel ein Interesse der ausländischen Atomfabriken, die Wiederaufarbeitungsverträge umzuwandeln in Zwischenlagerabkommen oder in Verträge zur Überführung des Strahlenmülls in eine „endlagerfähige Form“.

Natürlich ist es für Jürgen Trittin mißlich, irgendwann die Castor-Transporte wieder zulassen zu müssen, die einst Angela Merkel nach der Kontaminationsaffäre stornierte. Schlimmer als das wäre der Eindruck, das rot-grüne Deutschland wolle den eigenen Müll bei seinen Nachbarn abladen. Wer das verlangt, sei er nun Anti-AKW-Aktivist oder SPD-Ministerpräsident, macht sich lächerlich. St. Florian läßt grüßen. Gerd Rosenkranz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen