Kommentar: Die Zeit der Pazifisten
■ Das Militär kann Kriege beenden - Länder wiederaufbauen nicht
Es ist soweit: Fast acht Jahre nach dem Beginn des Krieges in Exjugoslawien steht die Nato bereit zum Angriff auf Ziele in Serbien. Angesichts dessen, daß der dortige Potentat Slobodan Milošević die internationale Gemeinschaft seit 1991 ständig an der Nase herumgeführt, belogen und provoziert hat, ist das nicht verwunderlich. Merkwürdig ist, daß diejenigen, die sich während der Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegowina öffentlich, laut und in teilweise sehr verletzender Form um den Sinn einer Militäraktion gestritten hatten, gerade jetzt völlig verstummt sind.
1995 wurde erstmalig ernsthaft die Möglichkeit kleinerer, begrenzter Bombardements von Stellungen der bosnischen Serben um Sarajevo diskutiert. Damals – tausend Tage nach Beginn der Belagerung der bosnischen Hauptstadt – kam es zum großen Streit im linken Spektrum Europas. Innerhalb der deutschen Grünen etwa stritten sich „Pazifisten“, die nicht glaubten, daß Krieg durch militärisches Eingreifen zu beenden sei, mit „Bellizisten“, also den Befürworten von Militäraktionen – und trugen den Sieg davon. Heute, angesichts der Nato-Drohung mit starken Bombardements auf ganz Serbien, meldet sich aus diesem Spektrum einfach niemand mehr zu Wort. Offenbar denken die ehemaligen Kombattanten, die Frage sei geklärt. Und tatsächlich belegen der Friedensvertrag von Dayton und die Nato- Schutztruppen, die zeitgleich in Bosnien einrückten und die Kampfhandlungen beendeten, daß Frieden mit militärischer Überwachung machbar ist.
Es mag traurig stimmen: Die Lehre aus den Kriegen um Exjugoslawien ist, daß die Staatengemeinschaft mit bestimmten Herrschertypen und Systemen nicht anders als militärisch umgehen kann. Slobodan Milošević, der Mann, der das alte Jugoslawien von einem Staat, der der Bundesrepublik gar nicht unähnlich war, in einen Hexenkessel verwandelt hat, gehört definitiv dazu. Und doch sollte der Erfolg von Dayton gerade für die Pazifisten ein Ansporn sein: Wenn heute um 15.00 Uhr das Nato-Ultimatum gegen Milošević' Serbien ausläuft, beginnt die Zeit, in der die pazifistische Szene mit ihren durchaus vorhandenen Konzepten zum Aufbau eines friedlichen Balkans an die Öffentlichkeit kommt. Denn die Militärs werden zwar die Kämpfe im Kosovo oder sonstwo beenden – die Probleme Südosteuropas aber werden sie nicht lösen können.
Rüdiger Rossig Berichte Seiten 6 und 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen