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KommentarKlarer Fall von Bildungslücke

■ Warum die Idee, Milosevic zu töten, Unfug ist

Zu den Monstrositäten, die seit Beginn der Nato-Luftangriffe gegen Jugoslawien auf das deutsche Publikum herunterprasseln, gehört die Idee des Tyrannenmordes, zu vollziehen an Slobodan Milošević. Dem Projekt liegt ein moralisches ebenso wie ein ökonomisches Kalkül zugrunde: Wäre es nicht viel gerechter (und viel billiger), ein Liquidationskommando zusammenzustellen, als mit steigender ziviler Opferzahl Kriegseinrichtungen, Brücken und Raffinerien zu bombardieren?

Die Idee, Milošević zu töten, ist ein direktes Resultat der deutschen Bildungsmisere. Wer noch „Zu Dionys dem Tyrannen schlich Damon, den Dolch im Gewande“ in der Schule deklamieren mußte, dem bleibt für immer im Gedächtnis, daß der (in Schillers Fall unterbliebene) Tyrannenmord von freiheitsliebenden Bürgern ins Werk gesetzt werden sollte, nicht jedoch von auswärtigen Mächten – z.B. von Agenten Roms. Deshalb liegt auch der Hinweis auf die Verschwörer des 20. Juli vollständig neben der Sache. Jürgen Trittin, der sich vorgestern überflüssigerweise zur Mordsache Milošević äußerte, hätte also höchstens den Dolch gegen seinen eigenen Regierungschef wetzen dürfen, hätte er die erste aller Voraussetzungen des Tyrannenmords beachtet.

Die rechtlichen wie politischen Einwände gegen das Projekt Tyrannenmord liegen geradezu peinlich offen auf der Hand: Wie will man gleichzeitig internationalen Straftribunalen und der Verrechtlichung internationaler Beziehungen das Wort reden, also praktisch etwas für die universelle Geltung der Menschenrechte unternehmen und gleichzeitig selber das Geschäft der Verfolgung auf kurzem Weg besorgen – übrigens mittels der Todesstrafe? Würde der Erfolg einer solchen Aktion nicht zudem einzig darin bestehen, der serbischen Märtyrergalerie einen neuen Heiligen hinzuzufügen und damit die kollektive Hysterie zu bestärken?

In einem dieser Tage erschienenen Aufsatz hat der serbische demokratische Intellektuelle Dragan Velikić geschrieben: „Slobodan Milošević ist das Phantasma der ,nationalen‘ Intelligenz Serbiens, ein Pinocchio, nur geschaffen, ein für allemal und allen unsere Wahrheit zu verkünden, die wahrer ist als alle anderen Wahrheiten, und uns unseren ,parteiischen‘ Sieg sicherstellt.“ Solche Phantasmen aufzulösen ist die Aufgabe der Demokratien, nicht aber, wie Rambo, mit ihnen zu wettteifern. Christian Semler

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