Kommentar: Viel gewollt, wenig getan
■ Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft war ein Flop
Das kollektive Gedächtnis ist kurz – schon gar in Kriegszeiten. Mit der Agenda 2000 werde er dafür sorgen, daß zukünftig weniger Geld in Brüssel „verbraten“ wird, hatte Kanzler Schröder zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft schwungvoll angekündigt. Prompt war er wochenlang damit beschäftigt, den diplomatischen Schaden in Grenzen zu halten. Ein Glück für ihn, daß erst der Skandal um die Brüsseler Kommission, dann die Balkankrise die europäische Öffentlichkeit beschäftigte.
Sonst hätte spätestens beim Berliner Gipfel mancher etwas genauer auf die rot-grüne Europapolitik geguckt. Dann wäre womöglich aufgefallen, daß der Joker Romano Prodi, den Schröder gipfelpsychologisch geschickt aus dem Ärmel zog, die alten Strukturen vorfinden wird, wenn er in Brüssel mit einer neuen Mannschaft neue Politik machen soll. Wie das aussehen wird, dafür ist das Geschacher um Kommissionsposten in den vergangenen Wochen erst der Vorgeschmack.
Dann wäre sicher auch aufgefallen, daß da, wo Agenda 2000 draufsteht, die gute alte EU-Subventionspolitik drin ist. Schröders Verhandlungsposition war in Berlin so schwach, daß er seine Gäste nur mit großzügigen Geschenken dazu veranlassen konnte, ohne Murren wieder nach Hause zu fahren. Ein Häppchen für Lissabon, ein Löffelchen für Berlin, den Briten ein Extra für den Friedensprozeß, zusätzlich zum Britenrabatt, versteht sich.
Die mit Vorschußlorbeeren bedachte Agenda ist im Verlauf des Berliner Verhandlungsmarathons zum Selbstbedienungsladen mutiert. Was das Ganze am Ende kostet und was es für Deutschlands Nettobeiträge in die EU-Kasse bedeutet, hat der deutsche Finanzminister bis heute nicht durchgerechnet. Jedenfalls ist die Rechnung nicht öffentlich. Da Kaputtmachen und Wiederaufbauen in Jugoslawien ohnehin eine Menge Geld verschlingen, wird wohl auch in Zukunft keiner so genau hinsehen, was die Deutschen da in ihrer Amtszeit ausgehandelt haben.
Pünktlich zum morgigen EU-Gipfel in Köln wird wieder eine neue glanzvolle Leerformel auf den Verhandlungstisch gebracht: Beschäftigungspakt steht drauf. Auch den neuen Joker in Schröders Ärmel gibt es schon: einen Koordinator der EU-Außenpolitik, Mister GASP. Der wird höchstwahrscheinlich Javier Solana heißen. Daniela Weingärtner
Bericht Seite 6
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