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■ KommentarSymbolische Politik  Warum es in der SPD keinen Links-rechts-Streit gibt

Mit Reinhard Klimmts SPD-Brief wird anscheinend das gute, alte Links-rechts-Stück wieder aufgeführt. Hier Schröder, der „Modernisierer“, dort eine wiedererstarkende Parteilinke.

Der Blick auf die jüngste Geschichte der Partei zeigt allerdings: Es gibt wenig Grund anzunehmen, daß die Linke wieder ein ernstzunehmender Machtfaktor werden könnte. Zum einen fehlt ihr seit Lafontaines Rückzug nicht nur ein führender Kopf, sondern auch innerparteiliche Macht. Nun kann, was nicht ist, noch werden – aber nur, wenn die Linke eine realitätstaugliche Vorstellung hat, wie mehr Gerechtigkeit herstellbar ist.

Die „linken“ Versuche, bürokratisch für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, sind zweimal gescheitert: Das 630-Mark-Gesetz, das das löbliche Ziel verfolgte, die Sozialkassen vor Betrug zu schützen, dürfte vor allem die Schwarzarbeit befördern. Das Gesetz gegen Scheinselbständigkeit, das etwas Ähnliches wollte, wird derzeit Stück für Stück zurückgenommen – weil es schlicht nicht praktikabel war. In der unübersichtlichen, postindustriellen Arbeitsgesellschaft sind Gerechtigkeitsideen viel schwieriger umsetzbar als noch vor dreißig Jahren. Für eine linke, etatistische Politik ist dies eine bittere Erkenntnis. Und zu Eichels Sparpolitik gibt es nur in der Ausformung, nicht aber im Prinzip linke Alternativen. Lafontaine wußte, warum er ging.

Die Aufführung „Klimmt gegen Schröder“ entspricht auch nicht der Links-gegen-rechts-Front. Es ist eher der Einspruch der SPD-Mitte gegen Schröders Themen- und Stil-Zapping. Nicht Lafontaine, Hans-Jochen Vogel ist der geistige Fixpunkt der Schröder-Kritiker.

Es ist ein Reflex gegen Schröders Yuppie-Attitüden, gegen seine Unfähigkeit zu begreifen, was für einen Aufruhr z. B. die Renteneinfrierung in der eher rechten SPD-Basis im Ruhrgebiet verursacht. Anders gesagt: Klimmt besetzt eine Rolle, ohne die weder die SPD noch Schröder politisch existieren können.

So erscheint der Zwist um Klimmt eher als ein Beispiel über Politik im postideologischen Zeitalter. Man besetzt symbolisch Begriffe, wie Klimmt Gerechtigkeit – doch diese Rhetorik ist nur noch bedingt durch eine politische Praxis gedeckt, in der Sachzwänge die Spielräume für die Politik im klassischen Sinn längst verengt haben. Stefan Reinecke

Bericht Seite 6

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