■ Kommentar: Der Westen schaut zu Russische Truppen marschieren in Tschetschenien ein
Nach tagelangen Luftangriffen auf Grosny und Umgebung sind russische Truppen in Tschetschenien einmarschiert – und die Meldungen lesen sich so lapidar, als handle es sich um einen erneuten Schnupfen des Präsidenten. Es scheint, als sei der Einmarsch Routine, zumal wir seit den jüngsten Einlassungen des russischen Premiers Wladimir Putin wissen, dass Moskaus Truppen bereits seit Wochen in der Kaukasusrepublik operieren.
Dabei sind die Folgen der Militäraktion schon jetzt klar: Wieder werden tausende Zivilisten den militaristischen Wahnsinn mit ihrem Leben bezahlen müssen. Das war schon während des Krieges 1994 bis 1996 so. Nur: Damals waren die Russen via TV Zeugen des Grauens, und Protestaktionen wie die der Soldatenmütter waren Ausdruck dafür, dass das Blutvergießen nicht tatenlos hingenommen wurde.
Jetzt dagegen gibt es so gut wie keine Informationen aus Tschetschenien. Moskau mordet unbeobachtet. Die russische Regierung kann sich außerdem nach dem Bombenterror der letzten Wochen in der Hauptstadt und anderswo der Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung zu ihrem erneuten Abenteuer sicher sein.
Und der Westen? Schon 1994 bis 1996 hatte er geschwiegen, und das aus gutem Grund. Schließlich ging es auch darum, seinen Teil zur Wiederwahl von Boris Jelzin beizutragen, der sich zwar längst von demokratischen Prinzipien verabschiedet hatte, aber – anders als sein kommunistischer Widersacher Gennadi Sjuganow – immer noch ein verlässlicher Partner zu sein schien. Und heute? Wieder Schweigen und der Hinweis aus Washington, Paris und Berlin, dass das Recht Russlands auf territoriale Integrität unbedingt zu respektieren sei.
Das mutet schon merkwürdig an, angesichts der Tatsache, dass eben diese Staaten gerade im Namen der Verteidigung der Menschenrechte Belgrad bombardiert haben. Die jugoslawische Hauptstadt ist eben nicht Moskau, das, wenn auch angeschlagen und unberechenbar, weiter ein wichtiger Mitspieler auf der internationalen Bühne bleibt.
Und überhaupt: Europa kann aufatmen, denn der Kaukasus ist weit. So werden die tausenden Tschetschenen, die aus Angst um ihr Leben auf der Flucht sind, wohl kaum in den westlichen Metropolen an die Haustür klopfen. Und so bleibt das Flüchtlingselend ein rein innerrussisches Problem. Barbara Oertel
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