■ Kommentar: Das letzte Mittel Atomausstieg: Wirtschaftsminister Müller droht mit Gesetz
An der Nase herumführen lässt sich niemand gern. Da machen Mitglieder der Regierung keine Ausnahme. Deshalb ist es verständlich, dass Bundeswirtschaftsminister Werner Müller der Atomindustrie jetzt mit einem Gesetz zum Ausstieg droht. Dies passt eigentlich nicht zu dem parteilosen Minister, dem man wohl als letztes Industriefeindschaft unterstellen kann. Doch die Chefs der Energiekonzerne haben den Bogen in den Verhandlungen um den Atomkonsens überspannt.
Werner Müller ist kein Freund von Gesetzen. Der frühere Manager und bekennende Wirtschaftsliberale sieht es viel lieber, wenn seine Exkollegen aus eigenem Antrieb tun, was die Regierung erreichen will: das langfristige Auslaufen der Atomwirtschaft. Müller würde gern die Rolle des Lehrers spielen, der mit didaktischer Raffinesse seinen Zielen näher kommt. Da das nicht funktioniert, droht er nun mit der Fünf auf dem Zeugnis.
Die Manager der Atomkonzerne haben bislang noch jedes Angebot der Regierung ausgeschlagen. Sie beharrten darauf, jeden ihrer Reaktoren 45 Jahre oder länger am Netz zu lassen, und waren nicht bereit, über diese Zahl zu reden. Als Umweltminister Trittin unlängst eine Gesamtlaufzeit von 500 bis 600 Jahren anbot, die die Betreiber auf ihre Kraftwerke verteilen sollten, ließen jene – von der neuen Flexibiltät verunsichert – die Gespräche einfach platzen.
Mit Verhandeln hat dieses Verhalten nichts zu tun: Die Firmenvorstände wollen, dass die Politik kapituliert. Dazu jedoch ist der Wirtschaftsminister nicht bereit, der für die Unternehmen fast alles tut, wenn es nur redlich zugeht. Die Atomindustrie muss über ihren Schatten springen und die Laufzeit der AKW so verringern, dass der Ausstieg in dieser Regierungsperiode nicht nur Ankündigung bleibt. Müller droht mit dem Gesetz, um das Realitätsprinzip in den Vorstandsetagen wiederherzustellen.
Dass ihr der Wind etwas stärker ins Gesicht bläst, hat sich die Atomindustrie selbst zuzuschreiben. Ihre Erfolge lasten die WählerInnen zuerst den Grünen als Misserfolge an. Und das gefährdet Rot-Grün. Wenn Schröder durch Wahlniederlagen und internen Streit der Koalitionspartner abhanden zu kommen droht, muss sich auch der Kanzler überlegen, wie viele Zugeständnisse er der Industrie macht. Die Regierung weiß, dass ihre Existenz auf dem Spiel steht. Hannes Koch
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