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KommentarDer alte Kontinent ■ Ein UN-Bericht sieht soziale Systeme Europas bedroht

Europa wird alt. Ein UN-Bericht zur demografischen Entwicklung der westlichen Industriestaaten belegt: Wir stehen vor revolutionären sozialen und kulturellen Umwälzungen. Damit sich das bisherige Verhältnis zwischen berufstätiger Bevölkerung und Rentnern aufrechterhalten lässt, müssten bis zum Jahr 2050 mehr als 188 Millionen Menschen einwandern – und keine gehen.

Allein diese astronomische Zahl lehrt: Einwanderung wird Deutschland entgegen der vielerorts gehegten Erwartung nicht aus seinem demografischen Dilemma erlösen – und den Bestand der bisherigen sozialen Sicherungssysteme nicht garantieren. Nicht nur, dass fast vier Millionen Menschen im Jahr die Integrationsfähigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft übersteigen würde. Die ebenso wichtige Frage lautet: Welche anderen Gesellschaften will man durch millionenfache Abwerbung gebildeter, junger und leistungsfähiger Arbeitskräfte bis in die Substanz schwächen? Denn nicht nur Deutschland, auch Italien, Großbritannien, die USA und Japan stehen vor ähnlichen Problemen.

Die Aussichten sind geeignet für Kulturpessimismus und Untergangsszenarien. Dazu besteht kein Anlass. Allerdings werden wir uns in den nächsten Jahrzehnten von einigen Vorstellungen lösen müssen: An eine „Rente mit 60“ glaubt heute ohnehin keiner der 20- bis 40-Jährigen mehr. Die Generation bereitet sich innerlich schon längst auf ganz andere Zeithorizonte des Arbeitslebens vor, soweit sie nicht dicke Aktiendepots erbt.

Und: Warum soll eine älter werdende Gesellschaft, wie allgemein unterstellt, per se eine weniger innovative und leistungsfähigere sein? Dafür fehlt bislang der rechte Nachweis. Denn die demografische Entwicklung in Europa ist ein Novum. Wie die Individuen und die Gesellschaft darauf reagieren werden, bleibt abzuwarten. Vieles ist möglich. Und es muss keineswegs schlecht sein, wenn dynamische 70-Jährige den Lauf des Geschehens weiterhin mitbestimmen.

Verstärkte Einwanderung, Förderung der Kinderzahl der ansässigen Bevölkerung, neue Diskussionen um die Verteilung der Arbeit sowie spätere und vor allem weniger Rente, das werden die Koordinaten sein, in denen Europa auch nach 2050 ein lebenswertes Dasein bieten wird. Eberhard Seidel

Bericht Seite 5

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