Kommentar: Panisch ohne Kohl ■ Die CDU wiederholt die taktischen Fehler der SPD
Die CDU braucht heute niemanden mehr als Helmut Kohl. Denn nur er weiß, wie man selbst das deftigste Debakel glorios ignoriert – oder sogar dem politischen Gegner die Verantwortung unterschiebt. Motto: Die CDU wurde doch zur illegalen Spendenpraxis von den Roten gezwungen. Soll doch erst mal die PDS-SED ihre Vergangenheit aufarbeiten, bevor sie ehrbaren Deutschen wie ihm vorwirft, er habe gelogen und betrogen. Ja, so sieht eine politische Offensive aus. Doch was machen die Christdemokraten?
Statt die Roten zu verteufeln – oder wenigstens Kohl zum endgültigen Abgang zu zwingen –, booten sie Wolfgang Schäuble aus und diskutieren dessen Nachfolge dilletantisch in aller Öffentlichkeit. Jeder Möchtegernpromi wie der Hamburger Ole von Beust schlägt der Partei irgendeinen potenziellen Vorsitzenden vor: den abgetakelten Bernhard Vogel oder den pensionsberechtigten Kurt Biedenkopf – oder eben Angela Merkel. Deren Befürworter geben sich wie Christian Wulff besonders selbstlos, aber jeder merkt sofort: Da wird eine Kandidatin verheizt. Die Sauberfrau aus dem Osten soll den Laden mal ein bisschen abstauben, und dann kommt einer, der es dem Schröder so richtig zeigt – einer wie Christian Wulff eben.
Noch dümmer als Wulff stellt sich allerdings Volker Rühe an, der täglich energischer gegen Merkel als mögliche Vorsitzende agitiert. Schließlich sieht er sich als Schäubles natürlichen Nachfolger. Hat er nicht fast genauso unter Kohl gelitten? Dumm nur, dass er seine Ambitionen jetzt an den Wahlerfolg in Schleswig-Holstein gekoppelt hat. Denn jeder merkt: Rühe möchte Schröders Kandidatencoup von 1998 kopieren, als der seine Niedersachsen zur Volksabstimmung gegen Lafontaine mobilisierte. Solch einen Coup wird Rühe in den 10 Tagen bis zur Wahl nicht landen. Daran ändert auch Stoibers Hilfe nichts, zumal auch der lieber einen CDU-Chef stützt, den er selbst leicht verdrängen kann, wenn es im Jahre 2001 um die Kanzlerkandidatur geht.
Die Christdemokraten agieren in wilder Panik, alles machtpolitische Wissen ist mit Helmut Kohl abhanden gekommen. Heute wird einer mit aller Macht gestützt und morgen machtvoll gestürzt. Kurz: Die CDU ist parteitaktisch auf dem Stand der SPD von 1996 angelangt.
Daniel Haufler
Bericht Seite 6
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