Kommentar zur Studie über "Ehrenmorde": Verzerrte Wahrnehmung
Sogenannte "Ehrenmorde" schockieren immer wieder. Sie sollten deshalb keinen Anlass zu gesellschaftlicher Panik oder gar schärferen Gesetzen geben.
M orde, die im Namen der Ehre begangen werden, sind kein Massenphänomen in Deutschland. Zwischen drei und zwölf Menschen fallen jedes Jahr einem falschen Begriff von Familien- oder Mannesehre zum Opfer, ergab jetzt eine Studie im Auftrag des Bundeskriminalamtes.
Bedenkt man, dass zwanzig Prozent der Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund haben, bilden diese Taten nur eine Randerscheinung. Als besonders drastisches Symbol für gescheiterte Integration werden sie in der Berichterstattung gerne stark herausgestellt. Das verzerrt die Wahrnehmung, denn ihre Zahl hat in den letzten Jahren keineswegs zugenommen.
Trotzdem sollte man "Ehrenmorde" nicht mit Verweis auf die vergleichsweise geringe Zahl relativieren. Denn jeder einzelne "Ehrenmord" statuiert ein Exempel und ist geeignet, Frauen (und Männer) in konservativen Einwanderermilieus einzuschüchtern. Wer nicht weiß, ob die eigenen Verwandten im Konfliktfall nicht auch zu tödlichen Waffen greifen, wird verunsichert und in seiner Lust an einem selbstbestimmten Leben gehemmt.
ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Freiburg.
Tröstlich ist an der Studie etwas anderes. Sie zeigt, dass sich solche Verbrechen fast ausschließlich in unteren, wenig gebildeten Schichten abspielen. Die Täter sind überwiegend aus der ersten Generation, also meist noch im Ausland geboren, kaum einer hat sich einbürgern lassen.
Im Umkehrschluss heißt dies: Das Problem ist kein religiöses, sondern vor allem ein soziales. "Ehrenmorde" ereignen sich meist unter Neuankömmlingen, sie setzen sich nicht über Generationen fort. Keine Frage, dass es sich um schreckliche und sinnlose Verbrechen handelt. Sie sollten aber keinen Anlass zu gesellschaftlicher Panik oder gar schärferen Gesetzen, sondern zu einer besseren Sozial- und Bildungspolitik geben.
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