Kommentar zum Volksentscheid: Der gescheiterte Kreuzzug
Das Ergebnis des Volksentscheides zeigt: Die Konservativen haben offenbar keine Themen, mit denen sie die ganze Stadt mobilisieren können. Klaus Wowereit darf sich als der ungekrönte König der Stadt fühlen - muss aber trotzdem aufpassen.
S chon wieder hat das bürgerliche Lager in Berlin verloren. Vor knapp einem Jahr hatten sich CDU, FDP und die BILD-Zeitung mit Unternehmern verbündet, um den Flughafen Tempelhof zu erhalten - und waren an einer zu geringen Wahlbeteiligung gescheitert. Diesmal haben sich CDU, FDP und die BILD-Zeitung mit den christlichen Kirchen verbündet, um den Religionsunterricht zu stärken - und die Wahlbeteiligung lag noch niedriger. Und das ist noch nicht alles: Diesmal gab es nicht einmal unter den Berlinern, die den Weg an die Wahlurnen auf sich nahmen, eine Mehrheit für den Volksentscheid. Was für eine krachende Niederlage.
Das zeigt: Die Konservativen haben offenbar keine Themen, mit denen sie die ganze Stadt erreichen können. Der Flughafen Tempelhof war vielen Berlinern einfach egal. Und diesmal ging es keinesfalls um die Freiheit, wie die Kirchen mit ihrer Gaga-Kampagne behaupteten, sondern lediglich um die Frage, ob Religion ein Wahlfach oder ein Wahlpflichtfach sein soll. Beide Themen sprachen eher das alte West-Berlin an - aber nicht einmal da gingen so viele Berliner an die Abstimmungsurnen wie von den Konservativen erhofft.
Die christlichen Kirchen haben nun den endgültigen Beweis dafür, dass sie in Berlin keine Mehrheit mehr hinter sich haben. Das ist in der überwiegend säkular geprägten Hauptstadt zwar nicht überraschend, war aber bisher beim Klerus offenbar noch nicht so richtig angekommen. In der Vergangenheit mischten die Kirchen sich mit einem übergroßen Selbstbewusstsein in gesellschaftliche Debatten ein - als ob sie den Ton angeben könnten. Das Wahlergebnis wird hoffentlich zu einer realistischeren Selbsteinschätzung führen.
Die klaren Gewinner der Abstimmung sind dagegen Klaus Wowereit und seine Koalition aus SPD und Linkspartei. Der Regierende Bürgermeister darf sich jetzt wie der ungekrönte König der Hauptstadt fühlen. Er weiß nun: Gegen ihn lässt sich keine Mehrheit der Berliner organisieren - das gilt vor allem dann, wenn er so wie bei beiden bisherigen Volksentscheiden auch die Grünen mit im Boot hat.
Ganz anders kann es dagegen ausgehen, wenn das nächste Mal der Volksentscheid von links kommt statt von rechts. Etwa falls es zur Abstimmung über eine bessere Betreuung in den Kitas kommt - dann ist alles wieder offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär