Kommentar zum Umzug von ProSiebenSat1: Medienpolitiker haben versagt
arbeitskampf bei sat1
Es war der erste Warnstreik im deutschen Privatfernsehen überhaupt: Beim zum Umzug nach München verdonnerten Sender Sat.1 legten die MitarbeiterInnen gestern für eine Stunde die Arbeit nieder.
Es war eine geradezu milde Reaktion auf das, was sich die ProSiebenSat.1-Konzernvorstände zuvor geleistet hatten: Statt mit den Tarifkommissionen der im Haus vertretenen Gewerkschaften zu verhandeln, versucht es die Geschäftsführung mit der Salamitaktik. Sie verschickt derzeit individuelle Abfindungsangebote an MitarbeiterInnen, die nicht mit nach München wollen. Das Ziel: die Spaltung der Belegschaft.
Die Eskalation im Streit um den Umzug zeugt aber auch von der Unfähigkeit der Berliner Politik. Egal wie schlecht man das Programm finden mag: Sat.1 ist der einzige Berliner Privatsender von Format.
Doch das Engagement der hauptstädtischen Medienpolitik war arg begrenzt - und kam viel zu spät. Als der vom unter Sparzwang stehenden Konzern in München ausgeheckte Umzugsplan längst durchgesickert war, versicherte der Regierende Bürgermeister den MitarbeiterInnen seine Solidarität. Als der Umzug dann kurze Zeit später offiziell verkündet wurde, zeigte sich, wie viel an den von Wirtschaftssenator Harald Wolff (Linke) vollmundig angekündigten Forderungen an den Münchner AG-Vorstand war: ziemlich wenig. Beleidigt pochte der Senat auf "zeitnahe Gespräche", die nur noch wenig Sinn hatten. Und der Regierungssprecher gab sogar zu Protokoll, dass es ja "glimpflicher verlaufen" sei, weil nur 350 MitarbeiterInnen vom Umzug betroffen sein sollen. Ein merkwürdiger Kontrast zur üblichen Standortpolitik, bei der sonst zahlenmäßig deutlich kleineren Abwanderungstendenzen energisch entgegengearbeitet wird.
Vollends absurd wird das politische Spiel, wenn man sich an die Siegesfeiern erinnert, die 2004 beim Umzug des Musikkanals MTV von München nach Berlin zelebriert wurden. Damals wurde über neue Arbeitsplätze für die Medienbranche der Hauptstadt gejubelt - es waren knapp über 100.
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