Kommentar zum Polizeieinsatz gegen Radfahrer: Faust statt Fingerspitze
Im Fall Andrew P. mag die Polizei juristisch korrekt gehandelt haben. Ein Rechtfertigung für ihr brutales Vorgehen ist das aber noch lange nicht.
Vorab nur so viel: Nein, die Berliner Polizei ist längst keine bloße Prügeltruppe mehr. Wer das behauptet, ist blind. Und ja, Polizisten ist es durchaus erlaubt, im Vollzug Gewalt einzusetzen. Denn ohne gelegentliche Härte stünden sie komplett hilflos da. Tatsächlich muss man in jedem Einzelfall genau hingucken. Das aber darf und muss man auch von den Beamten verlangen. Der Fall Andrew P. zeigt jedoch mehr als offensichtlich, wie sehr die Polizei immer noch übertreiben kann. Sie hat die Faust walten lassen, wo Fingerspitzengefühl dringend gefragt gewesen wäre.
Es mag ja sein, dass die Beamten juristisch korrekt handelten. Sie haben eine Person verfolgt, die sich nicht an ihre Anweisungen gehalten hat. Aber kann es irgendeine Rechtfertigung dafür gegen, dass jemand, der vielleicht ohne Licht radelt, am Ende mit vier Platzwunden am Kopf ins Krankenhaus muss? Oder genauer: Darf es irgendeine Rechtfertigung dafür geben? Nein, nein und nochmals nein!
Jedes andere Vorgehen hat zudem langfristige Konsequenzen. Das verdeutlicht die Vorgeschichte des aktuellen Falls. Vor drei Jahren war Andrew P. für ein Fahrraddieb gehalten und geschlagen worden. Statt sich nach Aufklärung des Irrtums bei ihm zu entschuldigen, verklagte die Polizei den Mann auf Schadenersatz, weil er mit seinem Blut die Kleidung von Beamten bekleckert hatte. Für solch ein perfides Vorgehen kann man sich nur schämen.
Eine Polizei, die sich dermaßen unsensibel gegenüber dem Bürger verhält, muss sich nicht wundern, dass der beim nächsten Mal versucht, vor ihr wegzulaufen. Eine Polizei, die auf den verängstigten Bürger wiederum nur mit dem Schlagstock und Anzeigen wegen Widerstand reagieren kann, macht etwas sehr Grundsätzliches falsch.
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