Kommentar zu Tempo 30: Ein echter Wechsel im Denken
Die Initiative des Senates, dass Tempo 30 in Städten zur Standardgeschwindigkeit wird, kann zu einem Mentalitätswechsel bei Autofahrern führen.
Berlin will andere deutsche Städte für sein Verkehrskonzept mit möglichst vielen Tempo-30-Zonen begeistern. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung habe es Überlegungen gegeben, zu diesem Thema eine Bundesratsinitiative anzustoßen, sagte Sprecher Mathias Gille. Er bestätigte damit einen Bericht der Berliner Zeitung. Danach soll Tempo 30 in Kommunen zur Regel werden, höhere Geschwindigkeiten zur Ausnahme. In der Hauptstadt aber soll alles bleiben, wie es ist: 25 Prozent Hauptstraßen mit Tempo 50, 75 Prozent Nebenstraßen mit Tempo 30. Für die Vorbereitung einer Bundesratsinitiative stehe jedoch weder ein Zeitplan fest, noch habe die Suche nach Bündnispartnern begonnen, sagte Gille. (dpa)
Auf den ersten Blick sieht es natürlich aus wie eine Luftnummer. Was soll eine grundsätzliche Beschränkung auf Tempo 30, wenn auf den Hauptstraßen doch weiter Tempo 50 möglich sein soll? Da scheint die CDU gar nicht so falsch zu liegen, wenn sie von einer "Schaufensterinitiative" spricht. Zumal dieser neueste Vorstoß aus der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Bundesratsinitiative werden soll - und dort sind die Mehrheitsverhältnisse nicht so, dass rot-rote Vorschläge eine Chance haben.
Spätestens auf den zweiten Blick aber sieht das schon anders aus. Da wird klar, dass hier eine ökonomische Betrachtungsweise falsch ist. Zwar gäbe es unterm Strich in Berlin tatsächlich nicht mehr Tempo-30-Zonen als bislang, einen Gewinn aber gäbe es trotzdem: einen Gewinn in den Köpfen.
Denn wenn die Grundlage beim Autofahren innerorts nicht mehr 50 Kilometer pro Stunde wäre, könnte sich das verinnerlichen. Nicht heute und auch nicht morgen, aber über die Jahre schon. Wenn das von Grund auf in den Fahrschulen so vermittelt würde, dann könnte mit jedem neuen Führerscheinjahrgang eine Generation mit dem Gedanken heranwachsen: Tempo 50 ist die Ausnahme, die Regel ist 30. Dann würden vielleicht auch mehr Autofahrer tun, was jetzt die Ausnahme ist, nämlich tatsächlich in Nebenstraßen nur 30 zu fahren, statt mit 50 durchzubrausen.
In der Politik wird gern der Begriff vom Mentalitätswechsel benutzt. Meistens ist das eine reine Sprechblase. Bei der Tempo-30-Initiative aber ist er wirklich berechtigt.
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