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Kommentar zu Kosovos UnabhängigkeitKein Grund für Triumphgeschrei

Kommentar von Barbara Oertel

Die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo verstösst nicht gegen das Völkerrecht. Nur, was nützt das? Der jüngste Staat Europas hat andere Probleme.

G lockengeläut und Stossgebete in den serbisch-orthodoxen Klöstern und Kirchen für das Kosovo - sie haben am Donnerstag dann doch nichts genutzt: Die einseitige Unabhängigkeitserklärung von Belgrad der ehemals serbischen Provinz am 17. Februar 2008 verstösst nicht gegen das Völkerrecht. So zumindest lautet der Befund des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag. Damit hat die Mehrheit der Richter, zumindest was die Causa Kosovo betrifft, sich bei der Abwägung zweier Rechtsgüter - dem Rechts auf territoriale Integrität und dem auf Selbstbestimmung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe - für den Vorrang des letzteren entschieden.

Zweifelos ist diese Entscheidung, obgleich rechtlich nicht bindend, für Serbien ein Schlag, schreibt sie doch den Status quo fest. Denn ein Grund für die Initiative Belgrads, das Gericht mit dieser Frage zu beschäftigen, war ja gerade die Hoffnung, ein weiteres Kapitel in den Statusverhandlungen aufzuschlagen und eine neue UN-Resolution herbei zu führen. Von diesem Plan kann sich Belgrad jetzt wohl verabschieden. Dennoch birgt das Gutachten für die Regierung auch eine Chance: nämlich endlich ihre Blockadehaltung aufzugeben, die letztendlich ja auch den erklärten Bemühungen, sich in westliche Strukturen integrieren zu wollen, im Wege steht. Der Gesichtsverlust für die Regierenden dürfte sich dabei in Grenzen halten, da die Unabhängigkeit des Kosovo jetzt ja von einer international anerkannten Gerichtsinstitution abgesegnet ist.

Demgegenüber kann sich der Kosovo auf ganzer Linie bestätigt fühlen. Triumphgeschrei wäre jedoch fehl am Platze. Denn die zweijährige Unabhängkeit des jüngsten Staates in Europa ist wahrlich keine Erfolgsgeschichte. Davon zeugen nicht nur mafiöse Strukturen und eine ausufernde Korruption, sondern auch der Status der serbischen Enklaven wie Mitrvica. Dort kommt es immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstössen, bei denen auch schon Menschen zu Tode kamen. An diesen ungelösten Problemen ändert der Den Haager Richterspruch nichts. Da auch der Kosovo auf dem schnellsten Wege in die EU möchte, werden beide Seiten wohl nicht umhin kommen, sich an einen Tisch zu setzen. Sollte das Gutachten diesen Prozeß befördern, könnten vielleicht auch erklärte Gegener einer Unabhängigkeit des Kosovo dem Spruch des UNO-Gerichts etwas Positives abgewinnen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

6 Kommentare

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  • K
    Kai

    Immer mehr Balkanstaaten sind nicht nur OK- und Mafia begerrscht, sondern regiert.

    Bulgarien, Rumänien, Albanien. Kosovo ist ein rein von der Organisierten Kriminalität und dortigen Mafia regierter Staat.

    In die EU? Es geht also weiter mit der Vogel-Strauß-Politik. Wundere sich niemand, wenn es wieder kracht.

  • I
    IchWarDa

    Der Kosovo ist eine Miniaturausgabe des gesamten Balkan. Korruption, politischer Erfolg durch eine möglichst blutige Teilnahme am Krieg bei der UCK...Das sind die Pfeiler des dortigen Systems.

    Dreh- und Angelpunkt des organisierten Verbechens. Wehe dem Tage, da der Kosovo der EU beitreten darf.

  • F
    Frank

    Das ist leider sehr zweifelhaft nmE, die gegenseitigen Vorurteile dürften noch für Jahre ausreichen.

     

    Dazu wird sich wohl in Europa eine zunehmende Ernüchterung über die Zustände im Kosova und in Albanien einstellen. Man hört und liest ja nur wenig, was aber dann (spät abends oder in knappen Mitteilungen) kommt, klingt böse.

    Da wären Mafia-ähnliche Strukturen der reinste Euphemismus.

     

    Vielleicht kann die TAZ mal eine Recherche machen? Interessant wäre es .....

  • N
    Ndege

    Über Jahrzehnte haben die Albaner die Kosovo-Serben drangsaliert und vertrieben - Solange, bis Milosevic sich eines Tages sagte "genug ist genug" und es zu dem Krieg der NATO gegen Belgrad kam.

    Inzwischen steht fest, dass so gut wie alle Gründe des Westens für diesen Krieg erfunden und erlogen waren. Der Hufeisenplan hat nie existiert, die Zahl der von den Serben vertriebenen Albaner wurde von westlichen Politikern einfach mal verzehnfacht, die Zahl der tatsächlich vertriebenen Serben gezehntelt. Nach den serbischen Operationen im Kosovo konnte die UN die Tötung von nur lediglich 1,600 Albanern durch die serbischen Truppen bestätigen. Bei der weitgehen zweckbefreiten "Operation Cast Lead" im Gaza-Streifen kamen alleine doppelt so viele Menschen ums Leben.

    Sogar das ARD/ZDF hat inzwischen eine Dokumentation mit dem Namen "Es begann mit einer Lüge" herausgebracht, in der die Propaganda von Joschka Fischer, Rudolph Scharping, etc. systematisch demontiert wird.

     

    Heute muss man sich von Albanern sagen lassen, dass sie sich nun, nachdem sie sich den Kosovo unter den Nagel gerissen haben, es mit Mazedonien weitergeht. Dort gab es ja letztens erst wieder Unruhen zwischen Albanern und slawischen Mazedoniern, bei denen es zu 14 Toten kam, wenn ich mich nicht irre.

    Die Albaner sind die Geißel des Balkans.

  • S
    schmetterling

    die stadt heißt mitrovica.

  • E
    EU-Blase

    Kosovo in die EU?

    Ein geradezu unheimlicher Gedanke - sowohl politisch als auch ökonomisch...