Kommentar zu Gelöbnis: Eine finstere Vorstellung
Bundeswehrgelöbnis vor dem Reichstag
Es war nur eine Finte, aber eine gelungene. Die erstmalige Verlegung des alljährlichen Bundeswehrgelöbnisses am 20. Juli vor das Reichstagsgebäude wurde noch mit Bauarbeiten im Bendlerblock des Verteidigungsministeriums begründet. Einen Monat später ist klar: Die Verlegung war nur ein Testballon.
Denn einmal erobertes Terrain gibt kein Heer so einfach wieder her. Zudem ist die graue Eminenz der Republik, der Uraltkanzler Helmut Schmidt, dafür. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sowieso. Die einst militärkritischen Grünen haben sich längst ins Gebüsch geschlagen. Und jetzt bläst auch noch der Berliner Senat zum Rückzug.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit immerhin tritt noch verbal nach. Genauso wie sein Koalitionspartner Linkspartei. Doch der Übermacht der Bundeswehrfans sind sie auf dem Felde vor dem Reichstag unterlegen. Der Versuch, die Uniformierten mithilfe eines "Rasen betreten verboten"-Schilds zu verschrecken, war gut. Doch auf Dauer kann man so nur die Sympathie anarchischer Widerborste ergattern - in der bundesweiten Debatte aber macht man sich lächerlich. Und das ist dem Ernst der Sache nicht angemessen.
Denn man muss eingestehen, dass es der Bundeswehr gelungen ist, über die Jahre Stück für Stück in die Mitte der Gesellschaft zu robben. Nun steht die Truppe vor dem Parlament. Und wenn man dem öffentlichen Gelöbnis einen Sinn zugesteht, muss man erkennen, dass es tatsächlich kaum einen geeigneteren Ort dafür gibt.
Es bleibt jedoch die Frage, warum man das tun sollte? Warum sollten ausgerechnet Soldaten, die sich professionell der Gewalt verschrieben haben, durch das düstere Tschingderassabum aus der Menge der Staatsbediensteten heraus auf eine höhere Ebene gehoben werden? Entweder sie sind Dienstleister einer Demokratie. Dann sollen sie ihren Job machen wie Lehrer, Polizisten oder Grünflächenamtsleiter auch. Oder sie sollen durch mystischen Quatsch dazu verleitet werden, ihr Denken und Leben einer unhinterfragbar höheren Macht zu weihen. Etwas Finstereres kann man sich kaum vorstellen.
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